Mehrheit der deutschen Bevölkerung sieht Lobbyismus in Europa kritisch

Forschung

Die Bundesbürger/innen sehen den Einfluss von Lobbygruppen auf die Klimapolitik der Europäischen Union äußerst kritisch.

Die Mehrheit der Bundesbürger/innen halten Lobbygruppen nicht nur für enorm einflussreich mit Blick auf die allgemeine Politik in Deutschland und Europa, sondern stehen diesem Einfluss auch äußerst ablehnend gegenüber. Ähnlich kritisch sieht die Bevölkerung hierzulande den Einfluss von Lobbygruppen auf die Klimapolitik der Europäischen Union. Anhänger/innen von Grünen, Linkspartei und AfD stehen dem Einfluss von Lobbying auf EU-Ebene dabei deutlich distanzierter gegenüber als Anhänger/innen von CDU/CSU, SPD und FDP. Zudem wünscht sich die Mehrheit der Deutschen mehr Transparenz bei Lobbying-Aktivitäten und verspricht sich davon, dass der Einfluss von Lobbyisten auf die Politik abnimmt.

Zu diesen zentralen Ergebnissen kommt eine Kurzexpertise, die das ZEW – Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung in Mannheim und die Universität Mannheim gemeinsam ausgearbeitet haben. Für die Expertise haben die Wissenschaftler eine repräsentative Umfrage in Deutschland durchgeführt, an der insgesamt 4.266 Personen teilgenommen haben. Zentrales Thema der Umfrage war, wie Lobbyismus auf nationaler und europäischer Ebene wahrgenommen wird. Unter Lobbyismus lässt sich dabei der Versuch von Interessengruppen wie etwa Unternehmen und Verbänden verstehen, auf Parlamentsabgeordnete und andere politische Entscheidungsträger/innen Einfluss zu nehmen.

Die Umfrageergebnisse zeigen, dass 78 Prozent der Teilnehmer/innen den Einfluss von Lobbyisten auf EU-Ebene für stark oder sehr stark halten. Lediglich 1,5 Prozent der Befragten glauben, dass Lobbyismus überhaupt keinen Einfluss auf die europäische Politik hat. Weiterhin gehen knapp 78 Prozent der Umfrageteilnehmer/innen, die einen Einfluss von Lobbyismus auf EU-Ebene sehen, davon aus, dass dieser Einfluss negativ oder eher negativ ist. Nur 3,4 Prozent sehen einen positiven oder eher positiven Einfluss von Lobbyismus in Europa.

Fast 70 Prozent der Befragten schätzen den Einfluss von Lobbyisten beim Thema Klimapolitik auf EU-Ebene als stark oder sehr stark ein. 67 Prozent derjenigen, die einen Einfluss von Lobbyismus auf die Klimapolitik sehen, bewerten diesen als negativ oder eher negativ.

Wahrnehmung von Lobbyismus bei Parteianhängern/-innen geht auseinander

Bemerkenswert bei den Umfrageresultaten ist der Unterschied in der Wahrnehmung von Lobbyismus bei den Anhängern/innen der im Bundestag vertretenen Parteien. Während Anhänger/innen von Grünen, Linken und AfD eher ablehnend auf das Thema Lobbyismus reagieren, fällt diese Einstellung unter Anhängern/innen der Altparteien CDU/CSU, SPD und FDP nicht ganz so skeptisch aus. Und während im Durchschnitt die Anhänger/innen aller Parteien davon ausgehen, dass Lobbyismus zu weniger Klimaschutz in der EU führt, sind Anhänger/innen von SPD, Grünen und Linken diesbezüglich deutlich negativer eingestellt als Anhänger/innen von CDU/CSU, FDP und AfD.

Vergleicht man die Wahrnehmung des Einflusses von Lobbyismus zwischen nationaler und europäischer Ebene, so fällt auf, dass mehr als 44 Prozent der Befragten den Einfluss von Lobbygruppen auf die Politik in Deutschland für größer halten als den Einfluss auf die EU-Politik. Fast 41 Prozent halten diesen Einfluss für gleich groß und nur sechs Prozent denken, dass der Einfluss von Lobbyisten in Deutschland geringer ist als auf EU-Ebene.

Am meisten profitieren von Lobbyismus auf EU-Ebene nach Meinung der Befragten Industrie und Politiker/innen. Während 79 Prozent der Befragten die Industrie als Profiteur sehen, glaubt mit 48 Prozent immerhin noch fast die Hälfte der Befragten, dass Politiker/innen von Lobbyismus profitieren. Dagegen glaubt nur ein sehr kleiner Anteil der Umfrageteilnehmer/innen, dass die EU-Bürger/innen selbst (3,6 Prozent) oder Wohltätigkeitsorganisationen (5,4 Prozent) einen Nutzen aus Lobbyarbeit auf EU-Ebene ziehen. Zudem sind fast Dreiviertel der Befragten mit der Informationslage beim Thema Lobbyismus unzufrieden, vermissen also einen transparenteren Umgang mit dem Thema.

"Lobbyismus hat ein Akzeptanzproblem"

„Lobbyismus hat in der Bevölkerung in Deutschland eindeutig ein Akzeptanzproblem. Zum Teil liegt das offensichtlich daran, dass sich die Menschen hier nicht ausreichend über die Aktivitäten von Lobbygruppen informiert fühlen“, fasst ZEW-Forschungsprofessor Ulrich Wagner, PhD von der Universität Mannheim und Mitautor der Kurzexpertise, zusammen. Die an der Expertise beteiligten Forscher empfehlen daher eine Ausweitung des europäischen Transparenzregisters und die Einführung eines solchen Registers auch in Deutschland. Als Vorbild könnte dabei das US-amerikanische Lobbyregister dienen, das seit 1996 existiert und eine strengere Registrierungspflicht vorsieht als das viel jüngere europäische Gegenstück.


„Dem Wunsch der Befragten nach mehr Transparenz bei Lobbyaktivitäten kann durch ein für alle Lobbygruppen verbindliches Register mit einer angemessenen Sanktionierung falscher Angaben besser entsprochen werden“, sagt Wagner.

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