Führungsmitglieder der Europäischen Investitionsbank verleihen bevorzugt Geld an eigene Herkunftsregion

Forschung

ZEW-Studie zur Kreditvergabepraxis der EU-Bank

Mitglieder des EIB-Verwaltungsrats bevorzugen für die Kreditvergabe Regionen, zu denen sie eine persönliche Verbindung haben.

Bei der Vergabe von Krediten durch die Europäische Investitionsbank (EIB) spielt die persönliche Biographie von Mitarbeitern/-innen der Führungsebene eine maßgebliche Rolle. So fließen Kredite zur Finanzierung großer Infrastrukturprojekte mit höherer Wahrscheinlichkeit in eine Region, aus der ein oder mehrere Mitglieder des Verwaltungsrats der EIB stammen. Regionen, die nicht über die Herkunft einzelner Mitglieder in dem Gremium repräsentiert sind, erhalten hingegen seltener Darlehen. Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle Studie des ZEW Mannheim, die sämtliche Kredite der EIB seit ihrer Gründung im Jahr 1958 ausgewertet und in Beziehung zum jeweiligen Werdegang ihrer Verwaltungsratsmitglieder gesetzt hat.

Demnach steigt die Wahrscheinlichkeit für eine europäische Region, einen Kredit von der EIB zu erhalten, um 17 Prozentpunkte, wenn mindestens eine aus dieser Region stammende Person im Verwaltungsrat der Bank sitzt. „Wir können nicht ausschließen, dass diese Vergabepraxis zu einer Fehlallokation von Ressourcen und zu wirtschaftlicher Ineffizienz führt“, sagt Annika Havlik, Wissenschaftlerin im ZEW-Forschungsbereich „Unternehmensbesteuerung und Öffentliche Finanzwirtschaft“ sowie Ko-Autorin der Studie. „Grund dafür ist unsere Beobachtung, dass sich in den begünstigten Regionen auffällig häufig der momentane oder zukünftige Arbeitsplatz eines EIB-Verwaltungsratsmitglieds befindet“, so Havlik.

Dennoch betonen die Wissenschaftler/innen, dass man Verwaltungsratsmitgliedern, die zur Bevorzugung ihrer Herkunftsregion bei der Kreditvergabe neigen, nicht zwangsläufig eigennützige Motive unterstellen sollte. Zum Beispiel ist es möglich, dass Verwaltungsratsmitglieder schlichtweg aufgrund ihrer besonderen sozialen Verbundenheit zugunsten der eigenen Region entscheiden. Genauso gut könnte der exklusive Kenntnisstand über die lokalen Gegebenheiten in der Heimatregion ausschlaggebend sein. In diesem Fall hätten die für die Vergabe eines Kredits verantwortlichen Mitarbeiter/innen größere Gewissheit, dass eine finanzielle Unterstützung seitens der EU notwendig und daher gerechtfertigt ist. Mit dieser Praxis würden die Ratsmitglieder Informationslücken zwischen der EIB und den Kreditempfängern/-innen gering halten und das Risiko der Fehlverteilung von europäischen Geldern senken. 

Allgemeine Dokumente

Studie „The Political Economy of Multilateral Lending to European Regions“ (in englischer Sprache)

Auch zukünftige Arbeitsregionen von Ratsmitgliedern profitieren

Die Wissenschaftler/innen beobachten indessen, dass Verwaltungsratsmitglieder, die ihren Arbeitsplatz während oder nach ihrer Tätigkeit bei der EIB in eine andere Region verlagert haben, gegen Ende ihrer Amtszeit vermehrt Kredite an die Region ihres zukünftigen Arbeitsplatzes vergeben. „Dieser Zusammenhang ist zwar nur schwach ausgeprägt. Aber es ist schwer vorstellbar, dass hier ein Informationsvorteil vorliegt, da die jeweiligen Verwaltungsratsmitglieder bis dato nicht persönlich mit der Region in Verbindung gestanden haben“, erklärt Dr. Zareh Asatryan, Mitautor der Studie und stellvertretender Leiter des ZEW-Forschungsbereichs „Unternehmensbesteuerung und Öffentliche Finanzwirtschaft“. „Außerdem tritt das Phänomen der Bevorzugung ausschließlich in Verbindung mit infrastrukturellen Megaprojekten auf. Im Vergleich zu kleinen, weniger greifbaren Maßnahmen auf lokaler Ebene lassen sich die Rahmenbedingungen großer und kostspieliger Bauvorhaben mit hoher Wahrscheinlichkeit auch ohne besondere Ortskenntnisse ermessen“, so Asatryan weiter.

Der EIB-Verwaltungsrat ist eines von drei Entscheidungsorganen der Bank und für das strategische Management zuständig. Ihm obliegt die alleinige Entscheidung über die Vergabe von Darlehen. Der Verwaltungsrat besteht aus 29 ordentlichen Mitgliedern, die jeweils einen EU-Mitgliedsstaat sowie die Europäische Kommission für fünf Jahre vertreten. Da sich das Gremium für Entscheidungen zur Vergabe neuer Kredite nur gelegentlich in der EIB-Zentrale in Luxemburg versammelt, handelt es sich bei dem Amt um keine Vollzeitbeschäftigung.

Ein Kredit ist von der EIB genehmigt, sobald mindestens ein Drittel der Vorstandsmitglieder dafür stimmt und diese Mitglieder mindestens 50 Prozent des bei der EIB eingeschriebenen Kapitals verkörpern. Der Anteil jedes Landes am Gesamtkapital der EIB richtet sich nach der relativen Größe des eigenen Bruttoinlandsprodukts (BIP) in der EU zum Zeitpunkt des EU-Beitritts.

Mehrheit der Verwaltungsräte aus wirtschaftlich starken Regionen

Für die Studie wurden sämtliche EIB-Kredite auf regionaler Ebene im Zeitraum zwischen 1959 und 2015 im Hinblick auf Umfang, Verwendungszweck und Vertragsdatum untersucht. So kommen bis zu 5000 Finanzierungsprojekte mit einem Kreditumfang von insgesamt knapp 500 Milliarden Euro zusammen. Die Daten stellt die EIB auf ihrer Homepage öffentlich zur Verfügung.

Die Herkunftsregionen der EIB-Verwaltungsratsmitglieder konnten die Wissenschaftler/innen aus den schriftlichen Lebensläufen und Jahresberichten entnehmen. Auf diese Weise wurden Daten zu insgesamt 254 ordentlichen und 216 stellvertretenden Verwaltungsratsmitgliedern der EIB gesammelt. 435 dieser Verwaltungsräte/-innen stammen aus Regionen, in denen sich die Hauptstadt des jeweiligen EU-Mitgliedsstaats befindet, 109 Vertreter/innen arbeiten in Regionen, in denen das BIP pro Kopf weniger als 90 Prozent des EU-Gemeinschaftsdurchschnitts beträgt, und die dementsprechend die Voraussetzungen für die Förderung durch den EU-Kohäsionsfonds erfüllen.

Die EIB gilt als das größte multilaterale Kreditinstitut der Welt. Als Bank der EU finanziert sie Projekte, die den integrations- und wirtschaftspolitischen Zielen Europas entsprechen, und fördert Innovationstätigkeiten, kleine und mittleren Unternehmen sowie Infrastruktur- und Umweltmaßnahmen. Die EIB ist global tätig, verleiht ihre Kredite allerdings hauptsächlich an die europäischen Mitgliedstaaten, die gleichzeitig Anteilseigner sind. Darlehen können auf allen Regierungsebenen sowie von privaten und öffentlichen Unternehmen beantragt werden. Ein erheblicher Teil des Kapitals fließt in Form von Kohäsionsfonds an ärmere Regionen, um die unterschiedlichen Lebensstandards innerhalb der Union anzugleichen. Seit ihrer Gründung im Jahr 1958 sind die jährlichen Mittel der EIB kontinuierlich von 34 Millionen auf rund 77 Milliarden Euro im Jahr 2015 gestiegen.