Corona-Anleihen sind das falsche Instrument

Kommentar

ZEW-Ökonomen Achim Wambach und Friedrich Heinemann zu Corona-Anleihen

ZEW-Ökonomen Prof. Achim Wambach, Ph.D., und Prof. Dr. Friedrich Heinemann bewerten die Corona-Aneihen als das falsche Instrument gegen die Staatsverschuldungen.

In einem aktuellen Standpunkt sprechen sich ZEW-Präsident Prof. Achim Wambach, Ph.D., und Prof. Dr.  Friedrich Heinemann, Leiter des ZEW-Forschungsbereichs „Unternehmensbesteuerung und Öffentliche Finanzwirtschaft“, für den Europäischen Stabilitätsmechanismus und gegen Corona-Anleihen aus. Corona-Anleihen sind ihrer Ansicht nach nicht nur schwierig in der Umsetzung, sondern auch konzeptionell das falsche Instrument und würden derzeit Europa mehr schaden als nutzen.

Die Eurogruppe bleibt in ihrer Einschätzung gespalten, welche Instrumente die beste „Verteidigungslinie“ gegen die ökonomischen Folgen der Corona-Pandemie sind. Es scheint gesetzt zu sein, dass die Mittel der Europäischen Investitionsbank zur Bereitstellung von Krediten für Unternehmen aufgestockt werden sollen. Auch ein neues Instrument zur Unterstützung von Kurzarbeit in Europa, das EU-Kommissionpräsidentin Ursula von der Leyen eingebracht hat, stößt auf viel Zustimmung. Der Streit entzündet sich an der Frage einer möglichen europäischen Beteiligung an der Staatsfinanzierung einzelner Länder.

Neun Staats- und Regierungschefs, u.a. aus Frankreich, Italien und Spanien, rufen nach gemeinschaftlich herausgegebenen Corona-Anleihen. Die Mittel sollen an die Eurostaaten fließen, die sie am nötigsten haben. In einem Aufruf haben Ökonomen eine Anleihe in Höhe von einer Billion Euro vorgeschlagen, etwa acht Prozent des Bruttoinlandsprodukts der Euroländer. Andere europäische Länder, u.a. Deutschland, die Niederlande und Österreich, halten dagegen und befürworten stattdessen eine Aktivierung der vorsorglichen Kreditlinie beim ESM, die einzelne Länder bei Bedarf abrufen können. Unter anderem wird dabei darauf verwiesen, dass es zu lange dauern würde, Corona-Anleihen einzuführen. Dabei könnte man diese Kritik noch offensiver formulieren: Corona-Anleihen sind nicht nur schwierig in der Umsetzung, sie sind auch konzeptionell das falsche Instrument und würden derzeit Europa mehr schaden als nutzen.

Corona-Anleihen können Bonität beeinträchtigen

Prof. Dr. Friedrich Heinemann

Eine unstrittige Aufgabe der „Verteidigungslinie“ gegen die ökonomischen Folgen der Pandemie ist, sicherzustellen, dass Länder in der Corona-Krise über ausreichend Mittel verfügen. Sie könnten ansonsten dazu gezwungen sein, auf eigentlich sinnvolle Stabilisierungs- und Konjunkturmaßnahmen zu verzichten, was negative wirtschaftliche Auswirkungen auf ganz Europa hätte. Der Einsatz von Corona-Anleihen verspricht hier zunächst Abhilfe könnte allerdings mittelfristig dazu führen, dass sich die Situation sogar verschärft. Dies wird am Beispiel Italiens deutlich.

Stand Ende 2019 ist Italien mit 2,4 Billionen Euro verschuldet und es ist absehbar, dass die Verschuldung jetzt rasch über 2,5 Billionen Euro steigen wird. Da ein Teil der nationalen Anleihen immer wieder ausläuft und erneuert werden muss, muss Italien im Jahr 2020 über 350 Milliarden Euro an Krediten aufnehmen. Bei einer einmaligen europäischen Corona-Anleihe in Höhe von einer Billion Euro entspräche der Anteil Italiens gemäß EZB-Kapitalschlüssel 130 Milliarden Euro. Dieser Schlüssel soll gemäß einem der aktuellen Vorschläge für die Verteilung der Schuldenanteile der Corona-Anleihen herangezogen werden. Gehen wir außerdem davon aus, dass Italien mit einem Transfer von 100 Milliarden über seinen Schuldenanteil hinaus begünstigt würde. Bei einer Staatsverschuldung von ca. 2,5 Billionen Euro entspräche selbst ein derart hoher Transferanteil gerade einmal vier Prozent dieser Schulden.

Es ist daher nicht zu erwarten, dass eine so geartete Corona-Anleihe Italiens Bonität nennenswert verbessern würde. Sie könnte sie sogar verschlechtern. Spätestens nachdem die Mittel aus der Corona-Anleihe verbraucht sind, muss Italien wieder an den Kapitalmarkt. Wenn die Bedienung der Corona-Anleihe Vorrang genießt, werden Investoren an den Kapitalmärkten dann für konventionelle italienische Anleihen noch höhere Risikoprämien verlangen. Hinzu kommt, dass eine hohe Inanspruchnahme der Corona-Anleihen ein Signal dafür sein kann, dass die nationalen Anleihen in ihrer Marktfähigkeit in Zukunft gefährdet sein können.

Der ESM bietet den Vorteil etablierter Verfahren

Der Abruf von Krediten aus der vorsorglichen Kreditlinie beim ESM hätte eine ähnliche Wirkung auf die Kapitalmarktfähigkeit des unterstützen Landes, da die Ansprüche des ESM gegenüber den Schuldnerländern explizit Vorrang vor den Ansprüchen anderer Gläubiger genießen. Allerdings wäre ein Abruf dieser Mittel nicht zwingend. Der ESM bietet zusätzlich den Vorteil, dass er seit 2012 etablierte Verfahren hat, und auch noch bereit steht, sollten später weitere Stabilisierungsmaßnahmen notwendig werden.

Bei einer Corona-Anleihe stellt sich darüber hinaus die Frage, wer nach welchen Kriterien die Mittel aus dieser Anleihe beziehen soll. Europäische Solidarität im Sinne des Gedankens wechselseitiger Versicherung bedeutet, dass in der Krise weniger betroffene Länder den mehr betroffenen Ländern beistehen. Wie wird jedoch diese Betroffenheit definiert? Im Moment nehmen wir vor allem die epidemiologische Ebene mit den hohen Sterberaten und den menschlichen Tragödien in Italien und Spanien wahr, was einen unmittelbaren und ethisch gebotenen Wunsch nach Solidarität hervorruft. Auf der wirtschaftlichen Ebene ergibt sich ein differenzierteres Bild.

So trifft der Einbruch der Tourismusindustrie Länder wie Spanien oder Italien besonders. Andererseits sind angesichts der drohenden starken Kontraktion des Welthandels exportlastige Länder wie Deutschland oder die sehr handelsoffenen kleineren Euro-Staaten ebenfalls von einer besonders schweren Rezession bedroht. So war der Wirtschaftseinbruch in Deutschland und Finnland im Jahr 2009 während der Finanzkrise größer als in den südeuropäischen Euro-Staaten. Werden die Einnahmen der Corona-Anleihen nach ökonomischer Krisenbetroffenheit verteilt, dann ist überhaupt nicht sicher, dass dies den hoch verschuldeten Ländern in besonderer Weise helfen wird. Dafür müssten die Mittel nach der Höhe der Staatsverschuldung verteilt werden, womit sie wiederum nicht auf die unterschiedliche Betroffenheit durch die Krise reagieren könnten und so ihre Versicherungsfunktion nicht erfüllen würden.

Corona-Anleihen können nur schwer beides sein – ein Solidarinstrument, das Länder unterstützt, die von der Krise besonders betroffen sind, und ein Stabilisierungsinstrument, das Mittel für Länder mit hoher Verschuldung bereitstellt. Mittelfristig können sie den Zugang zum Kapitalmarkt für hoch verschuldete Staaten sogar erschweren. Sie sind, sogar unabhängig von den rechtlichen und institutionellen Fragen, die eine Einführung aufwerfen würde, das falsche Instrument.

Der Beitrag ist zuerst am 9. April 2020 in der "Börsen-Zeitung" erschienen.

Kontakt

Wissenschaftlicher Kontakt
Prof. Achim Wambach, PhD
Zum Profil
Wissenschaftlicher Kontakt
Prof. Dr. Friedrich Heinemann
Zum Profil