Bei der Frage einer einheitlichen Mindestbesteuerung von Unternehmen in Europa gehen die Meinungen im Europäischen Parlament auseinander
ForschungIm Wettbewerb um Investoren winken manche EU-Staaten mit niedrigen Unternehmenssteuersätzen. Um einen ruinösen Steuerwettbewerb in der Europäischen Union (EU) abzuschwächen, wird immer wieder die Einführung einer Mindestbesteuerung für Unternehmen in Europa diskutiert. Die Abgeordneten des Europäischen Parlaments zeigen sich in der Frage, ob solch ein Vorhaben sinnvoll wäre, allerdings gespalten. Dies ist das Ergebnis einer Umfrage des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) unter den Mitgliedern des Europäischen Parlaments. Die Umfrage zeigt auch, dass insbesondere die Parteizugehörigkeit, die nationale Herkunft und der Bildungshintergrund der Abgeordneten ausschlaggebend für ihre Bewertung einer Mindestbesteuerung von Unternehmen sind.
Die Umfrage, an der sich mit 158 Abgeordneten rund 20 Prozent der EU-Parlamentarier beteiligten, macht eine klare Zäsur im Europäischen Parlament in der Frage einer Unternehmenssteuerharmonisierung deutlich. Mit rund 35 Prozent hält die Mehrheit der befragten EU-Parlamentarier eine solche Maßnahme für sinnvoll. Andererseits lehnen rund 31 Prozent eine Harmonisierung der Unternehmensbesteuerung in der EU als negativ beziehungsweise sehr negativ ab.
Die ökonometrische Analyse des individuellen Abstimmungsverhaltens zeigt, dass die Parteimitgliedschaft einen wichtigen Einfluss auf die Haltung der Abgeordneten in dieser Frage ausübt. So herrscht vor allem unter den EU-Parlamentariern, die europaskeptischen Parteibündnissen angehören, eine große Ablehnung gegenüber Mindeststeuersätzen. Demgegenüber zeigen sich vor allem Abgeordnete des linken Parteienspektrums als starke Befürworter einer solchen Maßnahme. Bei den Abgeordneten des konservativen Flügels überwiegt der Anteil derjenigen, die eine Steuerharmonisierung ablehnen, nur leicht den Anteil der Befürworter einer solchen Regelung. Insgesamt lässt sich allerdings in keiner Fraktion eine eindeutige Haltung für oder gegen die diskutierte Steuerharmonisierung erkennen. Neben der Parteienzugehörigkeit sind deshalb weitere erklärende Variablen wie etwa der nationale Kontext der Abgeordneten maßgeblich. Wie die Untersuchung zeigt, tendieren vor allem Parlamentarier aus Mitgliedsstaaten mit hohen Unternehmenssteuersätzen zur Befürwortung einer europaweiten Unternehmenssteuerharmonisierung. Sie betrachten diese offenbar als Möglichkeit, einen negativen "Abwärts-Wettlauf" der Unternehmensbesteuerung in Europa zu verhindern. Auch sprechen sich insbesondere Politiker für eine Steuerharmonisierung aus, die Staaten vertreten, deren Bürger traditionell positiv gegenüber sozialer Gerechtigkeit eingestellt sind.
Auch der Bildungshintergrund beeinflusst die Haltung der Abgeordneten. So tendieren Mitglieder des EU-Parlaments, die ein Studium der Betriebs- oder Volkswirtschaftlehre abgeschlossen haben, eher zu einer Ablehnung der Unternehmenssteuerharmonisierung. Offenbar spiegelt sich hier die positive Grundeinstellung der Ökonomen zum freien Wettbewerb wider. Dagegen fördert eine lange Mitgliedschaft im Europäischen Parlament eher eine zustimmende Haltung zu europaweiten Mindeststeuersätzen für Unternehmen. Dies könnte darauf hin deuten, dass die Loyalität zur EU im Laufe der Zeit zunimmt und andere Einstellungen in den Hintergrund drängt.
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Dr. Steffen Osterloh, E-Mail: osterloh@zew.de