„Spannungsfeld zwischen einer breiten Versorgung und begrenzten Ressourcen“
NachgefragtNachgefragt bei ZEW-Ökonom Simon Reif
Die Gesundheitswirtschaft hat nicht nur eine erhebliche ökonomische Bedeutung für Deutschland – Gesundheitsleistungen sind auch essenzieller Bestandteil der Daseinsvorsorge für Bürger/innen. Das ZEW hat zu Beginn des Jahres 2021 die Projektgruppe „Gesundheitsmärkte und Gesundheitspolitik“ ins Leben gerufen. Was Gesundheitsökonomie ist, wo uns diese im Alltag begegnet und welchen Forschungsfragen die Projektgruppe nachgeht, erläutert ZEW-Ökonom Dr. Simon Reif im Interview.
Simon Reif ist Gesundheitsökonom und leitet seit Januar 2021 die Projektgruppe „Gesundheitsmärkte und Gesundheitspolitik“ am ZEW Mannheim. Seine Forschungsinteressen sind verhaltensökonomische und institutionelle Einflussfaktoren beim Angebot medizinischer Leistungen sowie Determinanten individueller Gesundheit.
Mit was befasst sich die Gesundheitsökonomie?
Mit was befasst sich die Gesundheitsökonomie?
In der recht jungen ökonomischen Disziplin Gesundheitsökonomie werden ganz allgemein die ökonomischen Zwänge, mit denen das Gesundheitswesen konfrontiert ist, untersucht. Darunter fallen Fragen des Zugangs zu Gesundheitseinrichtungen, der Beschaffung von gesundheitsmedizinischen Produkten oder des Designs von Gesundheitsmärkten. Wir beleuchten also das Spannungsfeld zwischen einer breiten Versorgung und begrenzten Ressourcen. Dabei folgen Angebot und Nachfrage nicht den Regeln eines klassischen Marktes, bei dem anhand eines Preises entschieden wird, ob das Gut konsumiert wird. Durch die Krankenversicherung sind die Kosten für die Inanspruchnahme für die Versicherten sehr oft Null. Es stellt sich also die Frage, warum manche Leistungen wie etwa Vorsorgeuntersuchungen zu wenig in Anspruch genommen werden. Patienten/-innen sind sehr frei in ihrer Behandlungswahl, es muss also ein Weg gefunden werden, die knappe Ressource „Gesundheitsleistung“ sinnvoll zu verteilen. Dieser Steuerungsbedarf führt dazu, dass der Gesundheitsmarkt stark reguliert ist. Hier wird aus gesundheitsökonomischer Perspektive untersucht, wie sich Regulierungen auf Angebotsstrukturen und Kosten auswirken sollen.
Eines der Forschungsthemen der Projektgruppe dreht sich um die Vergütung von Krankenhäusern. Worum geht es dabei?
Prinzipiell geht es darum, Vergütungssysteme näher zu beleuchten. Wie wirkt sich die Art der Finanzierung auf die tatsächliche Versorgungsleistung aus? Diese Frage begegnet uns in stark regulierten Märkten oft. Dazu zählt dann auch die Vergütung von Krankenhäusern. Wir haben zum Beispiel in Deutschland ein Finanzierungssystem, bei dem sich Operationen oft mehr lohnen als konservative Alternativen. Unsere Forschung setzt hier bei der Problemidentifikation an. Liegt die hohe Operationsquote in Deutschland tatsächlich am Vergütungssystem? Oder möchten die Patienten/-innen einfach bevorzugt operiert werden? Das sind Forschungsfragen, denen wir nachgehen, und auf die wir Antworten geben möchten. Je nachdem, wie diese ausfallen, sind entsprechende Maßnahmen seitens der Politik nötig.
Stichwort Digitalisierung im Gesundheitssystem: Wo setzen wir hier an?
Der Markt für digitale Gesundheit ist relativ neu und sehr dynamisch. Eine zentrale Frage ist zu verstehen, welche Angebote es überhaupt gibt, um mit digitalen Methoden Behandlungen zu unterstützen. Deutschland wird oft kritisiert, bei der Digitalisierung im Gesundheitswesen hinterherzuhinken, aber es gibt auch Erfolgsbeispiele: patientenzentrierte digitale Gesundheitsleistungen. Deutschland ist das erste Land, das mit dem digitalen Versorgungsgesetz einen strukturierten Weg geschaffen hat, Anbieter von Gesundheits-Apps in die Regelversorgung aufzunehmen. Seit Ende 2020 gibt es die ersten Apps, die von Ärzten verschrieben werden dürfen. Das ist Pionierarbeit. Auch weil es in Deutschland einen komplett neuen Prozess der Zulassung gibt. Denn es ist gar nicht so einfach, einen Nachweis für den Nutzen einer digitalen Leistung zu erbringen, um eine entsprechende Finanzierung durch Krankenkassen zu erhalten. Wie zeigt man zum Beispiel empirisch, dass der Handlungsaufwand einer Krankheit durch eine bestimmte Applikation niedriger wird? Um zu verstehen, wie digitale Applikationen im Gesundheitssystem besser funktionieren können und wie man diese Sachverhalte empirisch testen kann, arbeiten wir mit Start-ups und Krankenkassen zusammen. Ziel ist es, mit unserer Forschung zu zeigen, wie neue digitale Behandlungsmethoden ganzheitliche Versorgungsmodelle unterstützen – oder im Zweifelsfall auch, wo der gleiche Effekt günstiger mit Zettel und Papier erreicht werden kann. Außerdem arbeiten wir an einem Projekt, bei dem es um die Preisgestaltung für solche Apps geht. Klassische Preismodelle greifen für digitale Anwendungen zu kurz. Wir arbeiten an einem Konzept, wie man bei einem Produkt, das sich dynamisch weiterentwickelt, eine optimale Preissetzung erzielen kann.