Bürgergeld: Mehr Netto vom Brutto erhöht Beschäftigung

Forschung

Studie von ifo Institut und ZEW zum Bürgergeld

Eine Reform des Bürgergelds würde die Erwerbstätigkeit um 136.000 Personen oder 145.000 Vollzeitstellen erhöhen und könnte sich damit selbst finanzieren.

Weniger Kürzungen bei Sozialleistungen für Bürgergeldempfängern/-innen, die mehr arbeiten wollen, würde deren Beteiligung am Arbeitsmarkt erhöhen. Das ist das Ergebnis eines Reformvorschlags, den ifo Institut und ZEW Mannheim im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) entwickelt haben.

„Diese Reform würde sogar mehr Geld in die Staatskasse bringen“, sagt Prof. Dr. Andreas Peichl, Leiter des ifo Zentrums für Makroökonomik und Befragungen und ZEW Research Associate, der die Studie geleitet hat. „Diese Reform innerhalb des Systems – wie vom Ministerium vorgegeben – würde die Erwerbstätigkeit um 136.000 Personen oder 145.000 Vollzeitstellen erhöhen. Damit könnte sich die Reform selbst finanzieren. Denn die öffentlichen Haushalte hätten am Ende rund 1,1 Milliarden Euro mehr an Steuern und Sozialabgaben“, ergänzt Prof. Dr. Holger Stichnoth, Leiter der ZEW-Forschungsgruppe „Ungleichheit und Verteilungspolitik“.

Weniger Kürzungen, damit Mehrarbeit lohnt

Der Vorschlag zielt auf Alleinerziehende und Alleinstehende ohne Kinder sowie Paare mit drei und mehr Kindern, weil hier die Beschäftigungseffekte entstehen. Bislang werden Sozialleistungen wie das Wohngeld bei Einkommen über 520 Euro monatlich bis 1000 Euro um 80 bis 100 Prozent gekürzt. Damit sich Mehrarbeit lohnt – weil vom Zuverdienst netto mehr übrigbleibt – sieht die Reform vor, die Sozialleistungen in Zukunft bis zu einer Verdienstgrenze von 2.000 Euro nur zu 70 Prozent zu kürzen. Bei Einkommen über 2.000 Euro monatlich sollen statt bisher 100 Prozent der Sozialleistungen nur noch 65 Prozent gekürzt werden.

„Wir zeigen, dass die Reform keine Bedarfsgemeinschaft schlechter stellt und – unter Berücksichtigung von Verhaltensanpassungen – auch selbstfinanzierend ist. Die Ergebnisse einer repräsentativen Befragung zeigen, dass eine solche Reform auf eine breite Akzeptanz in der Bevölkerung stoßen würde. Insofern dürften die Hürden bei der Umsetzung verhältnismäßig einfach zu überwinden sein“, fügt Dr. Maximilian Blömer vom ifo Institut hinzu.

Potenzial für weitere Beschäftigungseffekte

Die Beschäftigungseffekte ließen sich noch weiter erhöhen, wenn die Anrechnungsrate beim Zusatzbetrag der Kindergrundsicherung von 45 Prozent auf 25 Prozent gesenkt würde, ergänzt Stichnoth. Dies würde Haushalte mit Kindern besserstellen und insgesamt zu einer Erhöhung der Erwerbstätigkeit um 157.000 Personen sowie 165.000 Vollzeitstellen führen. Diese kombinierte Reform würde die öffentlichen Haushalte nur um etwa 500 Millionen Euro entlasten. Peichl ergänzt: „Eigentlich müsste auch die derzeitige Zweiteilung aus Bürgergeld und Wohngeld in eine einheitliche Grundsicherung überführt werden. Das würde zu einer wesentlichen Vereinfachung und damit Entlastung der Verwaltung führen. Und es hätte noch größere Beschäftigungseffekte.“

Zugrundeliegende Mikrosimulationsmodelle

Zur Analyse der Erwerbsanreize im Status quo und zur Quantifizierung der Reformvorschläge wurden zwei verhaltensbasierte Mikrosimulationsmodelle genutzt:

  1. Das „Tax and Transfer Behavioral Microsimulation Model“ des ifo Instituts – Leibniz Institut für Wirtschaftsforschung an der Universität München
  2. Das „EviSTA“ des ZEW Mannheim


Die Modelle stimmen, was den grundlegenden strukturellen Ansatz und Aufbau angeht, miteinander überein. Für die rein rechtlichen Modellierungen auf Basis einer Vielzahl von Musterhaushalten liefern sie dieselben Ergebnisse. Sie nutzen das Sozio-oekonomische Panel (SOEP) als zentrale Datenbasis, mit rund 15.000 Haushalten und gut 30.000 Personen aus diesen Haushalten handelt es sich um eine sehr große Stichprobe.

Gutachten: „Zur Reform der Transferentzugsraten und Verbesserung der Erwerbsanreize“ von Andreas Peichl, Holger Bonin, Holger Stichnoth u.a.; Studie Nummer 629 des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales.

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