Reallohnverluste führten zum Erwerbstätigkeitsrekord 2023

Kommentar

Beitrag über die Rolle der gesunkenen Reallöhne für die Beschäftigungsdynamik

Im Gastbeitrag erörtern Friedhelm Pfeiffer und Thomas Kohl, wie die Erwerbstätigkeit einen historischen Höchststand erreichen konnte.

2023 waren über das ganze Jahr hinweg rund 45,9 Millionen Menschen erwerbstätig, wie das Statistische Bundesamt in seiner ersten Pressemitteilung 2024 bekannt gab, im Vergleich zu 45,6 Millionen im Vorjahr. Mehr Erwerbstätige gab es noch nie in Deutschland. Etwas erstaunt reibt man sich die Augen, weil die Wirtschaft kaum vom Fleck kommt. Die Erfahrung zeigt, dass wegen dem technischen Fortschritt das Bruttoinlandsprodukt (BIP) um etwa ein Prozent steigen muss, damit das Beschäftigungsniveau gleich bleibt. Allerdings wuchs das BIP 2022 und 2023 nur um 0,5 Prozent pro Jahr. Demnach hätte die Beschäftigung zurückgehen müssen.

Wie also kann es sein, dass die Erwerbstätigkeit einen historischen Höchststand erreicht hat? Dafür kommen mehrere Ursachen in Frage.

Mehr Erwerbstätige durch Zuwanderung und Homeoffice

Angebotsseitig ist die Zuwanderung der letzten Jahre ein Faktor. Zudem steigt das Renteneintrittsalter Monat für Monat. Beide Faktoren erhöhen das Angebot an Erwerbstätigen. Der technologische Fortschritt ermöglicht es zudem, mehr Tätigkeiten flexibel auch von zu Hause statt im Büro zu erledigen. Diese Flexibilität spart Wegekosten und hilft, dass mehr Menschen auch in Teilzeit arbeiten können.

Sinkende Reallöhne erhöhen Beschäftigungsnachfrage

Nachfrageseitig ist der Rückgang der Reallöhne ein weiterer wichtiger Faktor für die Zunahme der Beschäftigung gewesen. Zwischen 2021 und 2022 sanken die Reallöhne der Beschäftigten um 4,1 Prozent, wie das Statistische Bundesamt berechnete. Dieser in seiner Höhe in Deutschland ebenfalls einmalige Rückgang hat die Nachfrage nach Arbeit trotz wirtschaftlicher Stagnation stabilisiert und zum jetzigen Höchststand der Beschäftigung beigetragen. Wenn die Reallöhne in der Gesamtwirtschaft um 4,1 Prozent sinken, steigt die Beschäftigung bei einer unterstellten Lohnelastizität von 0,3 (ein mittlerer Erfahrungswert aus der Forschung) um 1,23 Prozent. Im Mittel waren 2022 45,6 Millionen Menschen erwerbstätig. Nimmt man diesen Wert als Ausgangspunkt, sorgten die gesunkenen Reallöhne für sich genommen für etwa 560.000 zusätzliche Beschäftigte.

In Folge der diesjährigen Tariflohnabschlüsse mit deutlichen nominalen Lohnverbesserungen könnte der Rückgang der Reallöhne im Laufe des Jahres 2023 wohl zu einem Ende gekommen sein. Damit klingen die signifikanten und trotz stagnierender Wirtschaft stabilisierenden Beschäftigungsimpulse durch die gesunkenen Reallöhne nun allmählich aus. Falls die Wirtschaft 2024 weiterhin nicht anspringen sollte, wird die Beschäftigung wahrscheinlich zurückgehen. 

Arbeitsvolumen pro Kopf gesunken

Neben der Erwerbstätigkeit stieg in den vergangenen Jahren aber auch das gesamtwirtschaftliche Arbeitsvolumen. Allerdings reichen die offiziellen Zahlenwerte nur bis 2022. Die Tabelle zeigt die Anzahl der Erwerbstätigen und das erbrachte Arbeitsvolumen in Stunden für die Jahre 2012 und 2022 im Vergleich. Zu den Erwerbstätigen zählen die Arbeitnehmer/innen (inkl. der Beamten/-innen) sowie die Selbständigen. Die Arbeitnehmer/innen stellen die größere Teilgruppe der Erwerbstätigen. Dazu ergänzend zeigt sie ebenso die Werte für die Arbeitnehmer/innen als Teilgruppe der Erwerbstätigen und das von dieser Teilgruppe erbrachte Arbeitsvolumen. Die letzte Zeile enthält die Wachstumsraten dieser Werte.

Während die Anzahl der Arbeitnehmer/innen um 11,2 Prozent (plus 5,2 Mio.) zugenommen hat, ist ihr Arbeitsvolumen um 7,7 Prozent (plus 3,9 Mrd. Stunden) gestiegen. Bei der deutlichen Zunahme der Beschäftigung und einer geringeren Zunahme des Arbeitsvolumens ist somit das Arbeitsvolumen pro Kopf im Mittel gesunken.

Rückgang der Selbstständigkeit als Ursache

Ferner zeigt die Tabelle, dass die Anzahl der Erwerbstätigen insgesamt um 8,6 Prozent (plus 3,6 Millionen) zugenommen hat und damit prozentual etwas weniger als die Anzahl der Arbeitnehmer/innen. Auch das Arbeitsvolumen der Erwerbstätigen ist insgesamt um 3,2 Prozent gestiegen, wobei diese Steigerung geringer ist als die Zunahme des Volumens bei den Arbeitnehmern/-innen. Die prozentual geringere Zunahme der Erwerbstätigen resultiert aus der Abnahme der Selbständigkeit zwischen 2012 und 2022.

Wie neuere Studien des ZEW bestätigen, hat die Gründungsaktivität in den letzten Jahren nachgelassen. Immer weniger Menschen entscheiden sich demnach für das eigene Unternehmen und werden stattdessen Arbeitnehmer/innen. Da Selbständige im Mittel mehr Stunden als Arbeitnehmer/innen arbeiten, hat der Rückgang der Selbstständigkeit zu einem Rückgang des gesamtwirtschaftlichen Arbeitsvolumens pro Kopf beigetragen.

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