EU-Fiskalpolitik: Finanzen für europäische öffentliche Güter bereitstellen
EU-Budget gibt viel Geld für das Falsche aus
Eines der schwierigsten Dossiers für die neue Bundesregierung im Europäischen Rat wird der nächste Mehrjährige Finanzrahmen (MFR) für die Zeit nach 2027 sein.
Agrar und Kohäsion: Problematische Verteilungswirkungen bei geringer Wirksamkeit
Der EU-Haushalt wird nach wie vor von der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) und der Kohäsionspolitik dominiert. Beide Politikbereiche machen derzeit jeweils etwa ein Drittel der Gesamtausgaben aus, sind aber in ihrer europapolitischen Begründung stark umstritten. Die pauschalen Flächenprämien der GAP gelten als verteilungspolitisch problematisch, da sie in erster Linie Landbesitz begünstigen und in ihrer derzeitigen Ausgestaltung allenfalls geringe Anreize für eine ökologische, tiergerechte und klimaschonende Landwirtschaft setzen. Für die Kohäsionspolitik zeigt die empirische Forschung immer wieder eine nur begrenzte Erfolgsbilanz. So stehen einem sehr hohen Mitteleinsatz über Jahrzehnte nur begrenzt nachweisbare Konvergenzeffekte gegenüber. Hinzu kommt, dass die Kohäsionspolitik im Laufe der Jahre ihren Fokus verloren hat und heute eine Vielzahl sehr unterschiedlicher Ziele in der gesamten EU adressieren soll und dabei auch in wohlhabenden Ländern und Regionen Geld verteilt.
Mobilisierung von Finanzmitteln für Politikfelder mit europäischem Mehrwert
Gleichzeitig muss in den anstehenden Finanzverhandlungen die Frage beantwortet werden, wie der EU-Haushalt künftig mehr Mittel für europäische Politikfelder bereitstellen kann, die einen hohen europäischen Mehrwert erwarten lassen. Dies betrifft den Ausbau einer europäischen Verteidigungspolitik, die finanzielle und militärische Unterstützung der Ukraine bei der Verteidigung gegen den russischen Angriffskrieg und beim Wiederaufbau, ein stärkeres finanzielles Engagement in der Klima- und Energiepolitik sowie im Bereich der Innovations-, Forschungs- und Industriepolitik. Unabhängig davon, wie genau man den Finanzbedarf in all diesen Bereichen beziffert, ist klar, dass der EU-Haushalt diese Positionen im Vergleich zu den großen Transferpolitiken GAP und Kohäsion bisher vernachlässigt hat. Diese unterfinanzierten Bereiche zeichnen sich dadurch aus, dass sie gemeinsame europäische Aufgaben adressieren, bei denen EU-Programme bei entsprechender Politikgestaltung einen echten europäischen Mehrwert versprechen.
EU-Schulden sind mit hohen Zinskosten verbunden
Zur Finanzierung dieser neuen Politikbereiche sind zwei unterschiedliche Ansätze denkbar, die auch kombiniert werden können. Zum einen könnten durch Kürzungen bei der GAP und der Kohäsionspolitik Mittel für die neuen EU-Politiken freigesetzt werden. Zum anderen könnte das EU-Budget wachsen, um sowohl die bisherigen Transferpolitiken ohne Kürzungen weiter zu finanzieren als auch mehr Geld für Verteidigung, Klima, Wissenschaft und Industriepolitik zu mobilisieren. Für eine Budgeterweiterung ohne kompensatorische Kürzungen in den traditionellen Politiken müssen allerdings höhere Einnahmen generiert werden. Hier sprechen sich sowohl der Letta- als auch der Draghi-Bericht für eine Verstetigung der EU-Verschuldung nach dem Vorbild des durch EU-Anleihen finanzierten außerbudgetären Fonds Next Generation EU (NGEU) aus.
Eine dauerhafte Defizitfinanzierung des EU-Haushalts ist jedoch umstritten. Die Schulden der NGEU stellen bereits heute eine finanzielle Belastung für den EU-Haushalt dar. Die
Belastungen durch den Schuldendienst sind deutlich höher als bei der Beschlussfassung absehbar war. Gingen die ursprünglichen Planungen von einer Verzinsung der EU-Anleihen von 0,55 Prozent (2021) bis 1,15 Prozent (2027) aus, so wurde diese Finanzplanung mit dem starken Zinsanstieg seit 2022 auf Niveaus von 2,5 bis knapp über 3 Prozent für zehnjährige EU-Anleihen im Jahr 2022 schnell Makulatur. Verantwortlich für diese hohen Belastungen sind zum einen ein unerwartet hohes allgemeines Zinsniveau und zum anderen vergleichsweise schlechte Finanzierungskonditionen der EU.
Zudem besteht die Gefahr, dass die neuen Verschuldungsmöglichkeiten der EU letztlich nur genutzt werden, um die europäischen Schuldenregeln zu umgehen. Die jüngst reformierten Regeln zur fiskalischen Governance sollen die Mitgliedstaaten zu einer nachhaltigen Verschuldungspolitik verpflichten. Da die Haftung der Mitgliedstaaten für EU-Schulden in diesen Regeln nicht berücksichtigt wird, besteht ein Anreiz, nationale Schulden durch europäische Schulden zu ersetzen. Insgesamt würde eine solche Entwicklung die Transparenz der öffentlichen Finanzen und die Tragfähigkeit der Staatsverschuldung in der EU weiter untergraben und die Anreize für eine verantwortungsvolle nationale Haushaltspolitik weiter aushöhlen.
Empfehlungen
Deutschland sollte eine Führungsrolle bei der Repriorisierung des EU-Haushalts übernehmen
Deutschland als traditionell proeuropäisches Land sollte sich in den MFR-Verhandlungen für eine Neupriorisierung des EU-Haushalts einsetzen. Das Land ist in absoluten Zahlen der mit Abstand größte Nettozahler in den EU-Haushalt. Neue Zahlen der Bundesbank belegen zudem, dass Deutschland in der Summe von NGEU und Kernhaushalt auch in Relation zu seiner Wirtschaftsleistung derzeit den höchsten Nettobeitrag zur EU leistet. Diese hohe europäische Finanzsolidarität legitimiert eine einflussreiche Rolle in den Finanzverhandlungen und sollte genutzt werden, um den Weg für eine stärker europäische Verwendung des Budgets zu ebnen.
Einschnitte in der GAP und Kohäsionspolitik unterstützen
Die Bundesregierung sollte sich für die Strategie einsetzen, höhere Budgets für europäische öffentliche Güter vorzugsweise durch Kürzungen bei der GAP und der Kohäsionspolitik zu mobilisieren. Es widerspräche dem Postulat einer ergebnis- und wirkungsorientierten Haushaltspolitik, trotz dringenden anderweitigen Finanzbedarfs weiterhin hohe Kohäsions- und Agrarhaushalte zu finanzieren, obwohl diese Politiken wenig zielgenau, verteilungspolitisch problematisch und vielfach ohne messbare Wirksamkeit sind.
Innere Widersprüche der deutschen Verhandlungsposition überwinden
Die neue Bundesregierung sollte Strategien entwickeln, um Akzeptanz für Kürzungen in der Kohäsionspolitik auch im innerföderalen Verhältnis zu gewinnen. Während sich die Bundesregierung immer wieder offen für Kürzungen in der Kohäsionspolitik zeigt, werden diese von den Bundesländern strikt abgelehnt. Aus Sicht der Länder werden die EU-Transfers als zusätzlicher Finanzausgleich und Besitzstand betrachtet. Die Bundesregierung sollte daher mit den Ländern über Kompensationsinstrumente sprechen, um ein Auslaufen der EU-Kohäsionsprogramme in den reichen Mitgliedstaaten vorzubereiten. Eine weitere Voraussetzung für eine deutsche Führungsrolle bei der Neustrukturierung des EU-Budgets ist eine angemessene Distanz der nächsten Bundesregierung zu den Positionen landwirtschaftlicher Interessengruppen.
Ablehnung einer Defizitfinanzierung im Kernhaushalt bleibt gerechtfertigt
Alle Bundesregierungen haben seit der Euro-Schuldenkrise eine zurückhaltende Position gegenüber den EU-Schuldeninstrumenten eingenommen. In akuten Krisensituationen wurden einzelne Verschuldungsinstrumente für krisenhafte Ausnahmesituationen zwar unterstützt, gegen eine EU-Verschuldung als reguläres Finanzierungsinstrument für den Kernhaushalt der EU hat Deutschland jedoch bislang stets sein Veto eingelegt. An dieser Ablehnung sollte auch die neue Bundesregierung festhalten. Eine generelle Verschuldungskompetenz der EU im Kernhaushalt würde eine sehr wichtige europäische Schuldengrenze beseitigen, ohne dass damit überzeugende Vorteile verbunden wären. Begrenzte neue Verschuldungsinstrumente sollten als ultima ratio für unabweisbare Finanzierungserfordernisse angesehen werden, die keinen Aufschub dulden und realistischerweise nicht durch Umschichtungen auf der Ausgabenseite mobilisiert werden können. Dies könnte aus heutiger Sicht vor allem weitere Hilfen für die Ukraine betreffen.
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