Bitte nicht die Klimagießkanne!
StandpunktDie Reaktionen von Politik, Unternehmen und Gesellschaft auf die kriegsbedingten hohen Energiepreise bieten Anschauungsmaterial für den Umgang mit den sozialen Folgen der Energiewende, bei der höhere Preise für fossile Energien unvermeidbar sind. Es ist ein differenzierter sozialer Ausgleich mit Fokus auf vulnerable Haushalte gefragt. Zielgenauigkeit ist geboten.
Die Preise für Gas und Strom sind massiv gestiegen. Auch die Klimapolitik wird zu einem Anstieg der Preise der fossilen Energieträger führen, wenn auch nicht so schnell und so drastisch. Die Belastungen daraus müssen sozialverträglich aufgefangen werden. Die Bundesregierung lernt die Vor- und Nachteile verschiedener Förderprogramme gerade mit Energiegeld, Tankrabatt und Gaspreisbremse im Schnellkurs.
In der Klimapolitik wird von vielen Regierungsberatern empfohlen, die Einnahmen aus dem CO2-Emissionshandel sozial ausgewogen an die Bürger zurückzugeben, etwa in Form einer Kopfpauschale, sodass jeder denselben Betrag bekommt. So verteilt zum Beispiel die Schweiz einen Teil der Einnahmen aus der CO2-Abgabe an alle Personen, die im Land wohnen und dort krankenversichert sind. Der Betrag wird mit dem Beitrag zur Krankenversicherung verrechnet. Die Bundesregierung hat im Koalitionsvertrag etwas Ähnliches vereinbart: „Um einen künftigen Preisanstieg zu kompensieren und die Akzeptanz des Marktsystems zu gewährleisten, werden wir einen sozialen Kompensationsmechanismus […] entwickeln (Klimageld).“
Dieses Klimageld, auch Klimadividende oder Energiegeld genannt, sieht die Ausschüttung eines pauschalen Betrags für alle vor. Wenn jede Person in Deutschland 100 Euro erhalten würde, würde das etwa 8 Mrd. Euro kosten. In der Umsetzung ist dies gar nicht so einfach, da es bislang keine Zahlung an alle gibt, an die man andocken könnte. Die Schweiz hat den Vorteil, dass dort jeder krankenversichert ist und Versicherungsprämien nicht nach dem Einkommen gestaffelt sind. In Deutschland ist dies komplizierter: So sieht das zweite Entlastungspaket der Bundesregierung vom Mai 2022 vor, dass alle einkommenssteuerpflichtigen Erwerbstätigen über die Lohnabrechnung eine Energiepreispauschale von 300 Euro bekommen, die sie versteuern müssen. Selbstständige erhalten diese Pauschale durch eine verringerte Steuervorauszahlung. Empfänger von Sozialleistungen bekommen 200 Euro pro Person, Arbeitslosengeldempfänger 100 Euro. Rentner, die zunächst nicht berücksichtigt wurden, haben erst mit dem dritten Entlastungspaket der Bundesregierung vom September 2022 eine Direktzahlung von 300 Euro zugesagt bekommen. In diesem Paket sind auch Zahlungen an Studierende und Fachschüler von 200 Euro vorgesehen. Wohngeldempfänger erhalten einen Heizkostenzuschuss, dessen Höhe von der Personenzahl im Haushalt abhängt. Damit zukünftig Klimageld an alle über den gleichen Weg ausgezahlt werden kann, ist vorgesehen, zeitnah einen Auszahlungsweg über die steuerliche Identifikationsnummer zu entwickeln.
Was spricht für ein solches Klimageld? Zum einen würde es die Klimamaßnahmen, und dabei insbesondere den CO2-Preis im Rahmen der Emissionshandelssysteme, der Bevölkerung schmackhafter machen. Der Staat nimmt das Geld nicht ein, um sich zu „bereichern“, sondern gibt es wieder an die Haushalte zurück. Umfragen zeigen, dass dies auch so wahrgenommen wird: Menschen sind eher bereit, sich für eine CO2-Bepreisung auszusprechen, wenn sie wissen, dass die Einnahmen an die Bevölkerung zurückgegeben werden. Zum anderen ist eine solche Maßnahme, also die CO2-Bepreisung gemeinsam mit dem Klimageld, „progressiv“ im steuertechnischen Sinne: Wohlhabende werden belastet, ärmere Haushalte entlastet. Das liegt daran, dass reichere Haushalte tendenziell einen größeren CO2-Fußabdruck haben, weil sie in größeren Wohnungen leben und dort mehr heizen, mehr und größere Fahrzeuge mit höherem Kraftstoffverbrauch besitzen und öfter mit dem Flugzeug reisen. Allerdings ist relativ zum Einkommen die Belastung für wohlhabendere Haushalte geringer. Der statistische CO2-Fußabdruck eines Haushalts mit doppelt soviel Einkommen ist zwar größer, aber nicht doppelt so groß wie der des Haushalts mit dem geringeren Einkommen.
Eine CO2-Bepreisung allein ist demnach „regressiv“: Personen mit geringem Einkommen würden relativ mehr von ihrem Einkommen zahlen. Gemeinsam mit dem Klimageld aber, das für alle gleich ist, bringt sie unter dem Strich für die ärmeren Haushalte eine Entlastung und für die reicheren eine Belastung. Zudem gibt es den positiven Effekt der Verhaltensänderung hin zu emissionsärmeren Produkten durch den CO2-Preis.
Also eine gute Idee? Nicht ganz. Einnahmen aus der CO2-Abgabe und dem Emissionszertifikatehandel sind nicht die einzigen Einnahmen des Bundes. Hinzu kommen Steuern und weitere Abgaben. Diesen Einnahmen des Staatshaushalts stehen die Ausgaben gegenüber. Reichen die Einnahmen für die Ausgaben nicht aus, macht der Staat zusätzlich Schulden. Den Ausgaben sieht man jedoch nicht an, durch welche Mittel sie finanziert werden. Man spricht in diesem Zusammenhang vom Non-Affektationsprinzip oder Gesamtdeckungsprinzip. Es beschreibt den Haushaltsgrundsatz, dass sämtliche Einnahmen eines öffentlichen Haushalts zur Deckung sämtlicher Ausgaben dienen, also nicht zweckgebunden sind. Selbst wenn man sie zweckbinden würde, hätte dies eher politische als ökonomische Gründe. So gibt es beispielsweise Sondervermögen im Bundeshaushalt wie den „Energie- und Klimafonds“, dessen Mittel unter anderem aus den Emissionshandel stammen. Mit diesem Fonds sollen Klimaschutzmaßnahmen finanziert werden.
Doch obwohl hier eine stringente Verknüpfung zwischen Ein- und Ausnahmen suggeriert wird, ist doch klar, dass man diese Ausgaben auch durch Steuermittel hätte finanzieren können. Am Ende gilt: Gesamtausgaben gleich Gesamteinnahmen (plus Schulden), egal wo sie herkommen. Insofern ist die Verbindung des Klimageldes mit den CO2-Einnahmen zwar medienwirksam – der Staat bereichert sich nicht an den neuen Einnahmen – aber für die Bilanz irrelevant. Denn er bereichert sich dann eben stärker an anderen Einnahmen, er hätte mit dem Geld ja auch Steuern senken können.
Und dies führt zur relevanten Frage: Wofür sollen diese zusätzlichen staatlichen Einnahmen verwendet werden? Genauer: Wie sollten die Staatseinnahmen und -ausgaben angepasst werden, wenn durch die CO2-Bepreisung zusätzliche Einnahmen generiert werden? Wenn man die finanzwissenschaftliche Literatur dazu durchgeht, werden viele Möglichkeiten genannt. Aber eine ist nicht dabei – das Geld als Kopfpauschale an alle in gleicher Höhe auszuzahlen.
Der Grund dafür ist, dass Steuern (oder Bepreisungen) „verzerrend“ wirken. Manchmal ist diese Verzerrung gewollt, zum Beispiel bei einer CO2-Bepreisung, die dazu führt, dass Menschen und Unternehmen weniger umweltschädigend handeln, einfach, weil es teurer ist. Aber häufig nicht. So ist zum Beispiel das Ehegattensplittung, das den höchsten steuerlichen Vorteil verspricht, wenn ein Partner nur wenig verdient oder gar nicht arbeitet, einer der Hauptgründe, warum in Deutschland Frauen viel häufiger einer Teilzeitbeschäftigung nachgehen als in anderen Industrieländern. Der Zweitverdiener muss nämlich dann relativ hohe Steuern zahlen, was den Anreiz schmälert, viel arbeiten zu gehen. Ein großes Forschungsgebiet der Wirtschaftswissenschaften befasst sich deshalb mit der Frage, wie sich solche Ineffizienzen bei der Steuererhebung reduzieren lassen.
Die britische Premierministerin Margret Thatcher wollte diese Verzerrungen Ende der 1980er Jahre mit einer radikalen Lösung bekämpfen: Sie führte eine Kopfsteuer („poll tax“) ein, die für alle gleich war. Für den Steuerzahler ist das anreiztheoretisch neutral und damit besser als jede Einkommenssteuer: Da man denselben Betrag bezahlt, egal ob man viel oder wenig Geld verdient, lohnt es sich bei einer Kopfsteuer eher, mehr zu arbeiten. Aber gesellschaftlich ist genau das natürlich auch das Problem – wenn die Chefärztin dasselbe bezahlt wie der Krankenpfleger, ist dies sozial ungerecht. Dementsprechend führte die Kopfsteuer zu Protesten, und 18 Mio. Briten weigerten sich, sie zu bezahlen. Die Einführung dieser Steuer war der Anfang des politischen Endes von Margret Thatcher. Im November 1990 trat sie als britische Premierministerin zurück.
Kommen wir nun auf das Pendant der Pro-Kopf-Steuer zurück, nämlich der Pro-Kopf-Zahlung wie beim Klimageld. Sie hat weder eine individuelle Anreizwirkung – wie auch die Pro-Kopf-Steuer, da jeder denselben Betrag bekommt –, noch ist sie besonders sozial, denn die Chefärztin erhält denselben Betrag wie der Krankenpfleger. Sie ist vielmehr eine verpasste Chance. Im Gegensatz dazu sprechen sich viele schon lange für CO2-Bepreisung in Kombination mit sozialpolitischen Maßnahmen oder Steuersenkungen aus. Die Wissenschaft hat dafür den Begriff der „doppelten Dividende“ geprägt. Doppelte Dividende deshalb, weil mit der CO2-Bepreisung umweltschädliches Verhalten teurer und damit unattraktiver wird. Das ist die erste Dividende. Wenn man die Einnahmen dafür verwendet, verzerrende Steuern zu senken und diese dann weniger verzerren, bekommt man eine zweite Dividende. Eine andere Möglichkeit wäre, die Mittel dafür zu nutzen, die Schulden zu reduzieren, damit spätere Generationen weniger Steuern zahlen müssen. Wenn man die Mittel für sozialpolitische Maßnahmen verwendet, etwa indem man die ärmeren Haushalte unterstützt, erhält man ebenfalls eine zweite Dividende. Hinzu kommt, dass insbesondere einkommensschwache Haushalte in vielen Fällen neben den finanziellen Entlastungen zusätzliche Hilfe benötigen, um z. B. in Energieeffizienz zu investieren, wie eine Studie des ZEW von 2022 zeigt. Einen Kühlgerätetausch hin zu einem effizienteren Gerät, der sich eigentlich schnell rechnen würde, können sich einkommensschwächere Haushalt häufiger nicht leisten. Ein zeitlich befristeter Tauschgutschein kann die Tauschwahrscheinlichkeit merklich erhöhen. Mit einem pauschalen Klimageld für alle verzichtet man auf diese zweite Dividende.
Jetzt, in der größten Energiekrise seit Gründung der Bundesrepublik, lernen wir diese Lektion auf die harte Tour. Den Förderprogrammen der Bundesregierung wird vorgeworfen, sie würden mit der Gießkanne ausgeschüttet. Medienwirksam erklären Millionäre, dass sie das Energiegeld spenden würden, da sie es nicht benötigen. Die Vorschläge zur Gaspreisbremse, die an den Vorjahresverbrauch anknüpfen, unterscheiden nicht, ob dieser Verbrauch durch das Beheizen einer schlecht sanierten Wohnung mit vielen Familienmitgliedern oder einer Anwaltskanzlei entstanden ist. Allerdings sollen hiermit temporäre extreme Preisschocks abgefedert werden (als ex-post Versicherung) und nicht, wie in der Klimapolitik, permanente moderatere Belastungen begleitet werden (im Rahmen der Sozialpolitik). Ein differenziertes Vorgehen mit Fokus auf den Schutz der vulnerablen Haushalte kann dafür sorgen, dass die doppelte Dividende in der Klimapolitik ankommt. Die Regierung sollte jetzt damit beginnen, ein solches Vorgehen zu planen und auch die rechtlichen Voraussetzungen zu schaffen, damit die dafür notwendigen Datensätze verknüpft werden können.
Dieser Beitrag ist zuerst auf dem Blog politische Ökonomie erschienen.