Blockchain-Technologie – Es herrscht eine Goldgräberstimmung wie im Wilden Westen

Nachgefragt

Blockchain-Technologie - Euphorie und harsche Kritik

Euphorie und harsche Kritik liegen beim Blick auf die Blockchain-Technologie nahe beieinander. EU-Digitalkommissarin Marija Gabriel etwa sieht in der Blockchain große Chancen für eine effizientere öffentliche Verwaltung. Die Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF), Christine Largarde, dagegen befürchtet die Nutzung für Geldwäsche und Terrorfinanzierung. Angetrieben wird die Diskussion maßgeblich durch einen Investitionsboom, an dem nicht nur professionelle Risikokapitalgeber sondern auch Privatanleger beteiligt sind. ZEW-Wissenschaftler Dominik Rehse äußert sich kritisch zum Hype um die neue Technologie.

Was genau ist Blockchain-Technologie?

Bei Blockchain-Technologie handelt es sich um eine Technologiefamilie, die zum Betreiben verteilter Computersysteme genutzt werden kann und dabei von Computerkryptographie Gebrauch macht. Im Fall von Bitcoin wird ein gemeinsames Kassenbuch betrieben, in dem von nahezu anonymen Nutzern/-innen die dafür geschaffene Währung Bitcoin für Überweisungen eingesetzt wird. Auf anderen Blockchains können jedoch auch zunehmend komplexere Programme, zum Beispiel Wettplattformen, betrieben werden. Von konventionellen verteilten Computersystemen unterscheiden sich diese Systeme darin, dass durch ausgeklügelte Anreizsysteme sichergestellt werden kann, dass keine einzelne Partei die Kontrolle im System übernimmt. Blockchains können in privaten Netzwerken oder in öffentlichen Netzwerken, insbesondere dem Internet, betrieben werden.

Gibt es schon konkrete Anwendungsfälle?

Sinnvoll angewendet werden kann die Technologie dort, wo die Aufgaben einer vertrauenswürdigen „dritten Partei“ übernommen oder neu geschaffen werden und weitgehend automatisierbar sind. Im Fall von Bitcoin übernimmt die Blockchain die Aufgaben von Finanzintermediären im Zahlungsverkehr. Modellversuche beschäftigen sich unter anderem mit der Möglichkeit, Nahrungsmittellieferketten transparenter zu machen oder den Energiemarkt stärker zu dezentralisieren. Wirklich aktiv genutzt wird die Technologie derzeit jedoch vor allem für die Zahlungsverkehrsabwicklung vorbei am bestehenden Finanzsystem.

Wenn es bisher noch wenig Praxisbeispiele gibt, worin besteht dann der derzeitige Hype?

Öffentliche Blockchains emittieren zum Betrieb der Anreizsysteme sowie für die Interaktion der Betreiber und Nutzer häufig sogenannte „Coins“ und „Tokens“, um die sich der derzeitige Investitionsboom dreht. Die Marktkapitalisierung von Bitcoin lag Ende Mai 2018 bei rund 130 Milliarden US-Dollar, was ungefähr dem Börsenwert von SAP entsprach. Ein Jahr zuvor lag sie noch bei rund 36 Milliarden US-Dollar. Die Preisentwicklung von Bitcoin und anderen Kryptowährungen oder -token wird durch Preisspekulation und die Erwartung eines hohen künftigen Nutzungswerts der jeweiligen Coins oder Tokens getrieben. Zum realisierten Nutzwert dürfte der Gebrauch für illegale ­Zwecke zählen. Das erstmalige Begeben von Coins und Tokens bei sogenannten „Initial Coin Offerings“ (ICOs) brachte den Emittenten seit Anfang 2018 rund zehn Milliarden US-Dollar ein, teils mit vielversprechenden, teils mit zweifelhaften Angeboten. Es herrscht eine Goldgräberstimmung wie im Wilden Westen.

Woher stammt das Kapital, das in diese Blockchain-Token investiert beziehungsweise getauscht wird?

Dazu kann man bislang leider nur mutmaßen. Funde beim Ausheben illegaler Onlinemärkte deuten jedoch darauf hin, dass der Zahlungsverkehr über Blockchains und das Kaufen und Verkaufen von Coins und Tokens zu einem wesentlichen Teil für illegale Zahlungen, zum Umschiffen von Kapitalsperren und anderen regulatorischen Beschränkungen genutzt wird. In einem laufenden Forschungsprojekt versuchen wir am ZEW derzeit die Größenordnungen von grenzübergreifenden Transfers innerhalb der Bitcoin-Blockchain abzuschätzen.

Wie sieht es in diesem Zusammenhang mit der gesetzlichen Regulierung der Technologie aus?

Nahezu alle G9-Finanzmarktaufsichten haben inzwischen ­eine Verbraucherwarnung für Coins und Tokens veröffentlicht, so auch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin). Gleichzeitig wird Blockchain-Technologie zunehmend als Schlüsseltechnologie betrachtet und beispielsweise von der Europäischen Union und bei Zentralbankprojekten gefördert. Auf der Suche nach einem konstruktiven Umgang mit den ­derzeitigen Entwicklungen und den Herausforderungen der Blockchain-Technologie gibt es noch viel zu tun. Auch die Bundesregierung scheint das Zukunftspotenzial und möglicher­weise auch die Gefahren der Blockchain-Technologie erkannt zu haben, und möchte gemäß Koalitionsvertrag eine Blockchain-Strategie entwickeln.

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Felix Kretz
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