Brexit-Konferenz am ZEW stößt kontroverse Diskussionen an
KonferenzenDer bevorstehende Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union verteilt die handelspolitischen Karten zwischen beiden Seiten neu. Sowohl aus ökonomischer als auch juristischer Perspektive lassen sich dabei unterschiedliche Argumente ins Feld führen, wer am Ende in welcher Form von den Verhandlungsergebnissen profitieren wird. So führte die Konferenz „Trade Relations after Brexit: Impetus for the Negotiation Process” am 25. und 26. Januar 2018 am Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW), Mannheim, zu durchaus kontroversen Debatten zwischen Fachleuten aus Wissenschaft und Politik darüber, wie der Brexit möglichst effizient bewältigt werden kann.
Die zweitägige Veranstaltung, gemeinsam organisiert vom „Mannheim Centre for Competition and Innovation“ (MaCCI) des ZEW und der Universität Mannheim sowie dem „European Research Centre for Economic and Financial Governance“ (EURO-CEFG) der Universitäten Leiden, Delft und Rotterdam, brachte internationale Experten und Expertinnen von Forschungseinrichtungen sowie aus dem Europäischen Parlament zusammen. Bei einer Vielzahl von Vorträgen und Paneldiskussionen wurden die Verhandlungspositionen des Vereinigten Königreichs und der EU analysiert sowie die künftige Ausgestaltung der europäischen Handelsbeziehungen mit Blick auf gesamtwirtschaftliche und sektorale Auswirkungen hinterfragt.
Ein positiver Aspekt des Brexit ist immerhin, dass das Europäische Patent, das vom Europäischen Patentamt in München erteilt wird, nicht vom EU-Austritt Großbritanniens betroffen sein wird, wie Dr. Georg Licht, Leiter des ZEW-Forschungsbereichs „Innovationsökonomik und Unternehmensdynamik“, deutlich machte. Das traditionelle Europäische Patent sei keine EU-Institution, sondern beruhe auf einer Vereinbarung von inzwischen rund 40 Ländern in Europa. Mit der Erteilung eines Europäischen Patents zerfalle das Patent in ein Bündel nationaler Patentrechte, weshalb sich aus dem Brexit kein unmittelbarer Anpassungsdruck auf diesem Gebiet ergebe.
Prof. Dr. Wolf-Georg Ringe vom Institut für Recht und Ökonomik der Universität Hamburg stellte die These auf, dass die konkrete EU-rechtliche Ausgestaltung des Brexit ähnlich kreativ und flexibel gehandhabt werden wird, wie zuvor schon das Schnüren der Griechenland-Rettungspakete und die Bankenkrise in Italien. Dem wurde aus dem Publikum zum Teil widersprochen, woraufhin sich die Diskussion mithin um die normativen Effekte des Brexit im Zusammenhang mit der laxen Auslegung selbst auferlegter Regeln innerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums drehte.
Streitpunkt Einwanderung in den britischen Niedriglohnsektor
Entgegengesetzte Positionen vertraten des Weiteren Prof. Dr. Patrick Minford von der walisischen Cardiff University, der die sogenannte Brexit-Steuerungsgruppe des Europaparlaments in ökonomischen Fragen berät, und Elmar Brok, Mitglied des Europäischen Parlaments und der Brexit-Steuerungsgruppe sowie außenpolitischer Koordinator der Europäischen Volkspartei (EVP). Minford unterstrich, dass Großbritannien im Verhältnis zur EU enorm vom Brexit profitieren werde, da das Vereinigte Königreich in Zukunft weniger Einwanderung in den Niedriglohnsektor zu verzeichnen habe, somit höhere Löhne gezahlt werden könnten und diese Entwicklung vor allem ärmeren britischen Haushalten zugute käme. Zudem werde Großbritannien künftig auch mehr Handel mit Commonwealth-Ländern treiben.
Elmar Brok hielt dagegen, dass der Brexit die Einwanderung in das britische Sozialsystem keinesfalls unterbinden werde und Reglementierungen dazu auch als EU-Mitglied durchaus möglich und gangbar seien. Die EU werde neben den USA auch nach dem Brexit wichtigster Handelspartner des Inselstaates bleiben, allen voran Deutschland. Als Beispiel führte Brok an, dass das Vereinigte Königreich alleine mit dem Bundesland Nordrhein-Westfalen doppelt so viel Handel treibe wie mit allen Bundesstaaten Indiens zusammen.
Freihandelsabkommen wie zwischen EU und Schweiz als Vorbild
Prof. Dr. Dr. h.c. Clemens Fuest, Präsident des ifo-Instituts und ehemaliger ZEW-Präsident, betonte in seinem Fachvortrag, dass der Brexit einen Präzedenzfall schaffe, dessen langfristige Folgen kaum abzuschätzen seien. Es gebe unterschiedliche Szenarien zur Umsetzung des EU-Austritts, die sich alle insgesamt negativ auswirken, je nach Ausgestaltung aber Polen, Irland und das Vereinigte Königreich selbst am heftigsten treffen würden. Käme es zu einem „harten“ Brexit mit allen damit verbundenen Konsequenzen, würden nicht nur die Handelsströme, sondern auch sonstige Transaktionen empfindlich gestört, was enorme Kosten verursache. Die Wirtschaftswissenschaften könnten dazu zwar unterschiedliche Modelle anwenden, um besagte Kosten annähernd zu quantifizieren. Der gesamten Komplexität der Wirklichkeit könnten diese Modelle jedoch kaum Rechnung tragen.
Am Beispiel Polens machte Prof. Dr. Stefaan Van den Bogaert vom EURO-CEFG-Netzwerk fest, dass manche EU-Mitgliedstaaten zwar finanziell von der Subventionsstruktur der Union profitierten, sich aber in anderen Politikbereichen wie etwa in der Flüchtlingsdebatte jeder Verantwortung verweigerten. Diese Problematik überschatte den Brexit zusätzlich. Mit Blick auf eine verbindliche Regelung des britischen EU-Austritts schlug Van den Bogaert ähnliche Freihandelsabkommen wie zwischen der EU und Lichtenstein oder der Schweiz vor, sodass bestimmte Zollvergünstigungen gewährt blieben. Dies würde allerdings einen großen administrativen Aufwand bedeuten.