Der Beitrag von Ausländern und künftiger Zuwanderung zum deutschen Staatshaushalt
ForschungTrotz der nach wie vor deutlich schlechteren Stellung am Arbeitsmarkt zahlen die 6,6 Millionen Ausländer, die im Jahr 2012 in Deutschland lebten, im Rest ihres Lebens 147,9 Milliarden Euro mehr an Steuern und Sozialbeiträgen, als in Form von Sozialtransfers wieder an sie zurückfließt. Zu diesem Ergebnis kommt eine im November erschienene Studie, die das ZEW im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung durchgeführt hat. Die Studie zeigt mit den Instrumenten der Generationenbilanzierung außerdem, dass künftige Zuwanderung die fiskalischen Lasten für die einheimische Bevölkerung verringern kann, die sich aus der derzeit bestehenden Tragfähigkeitslücke bei den öffentlichen Finanzen ergeben. Die Bedingung hierfür ist allerdings, dass Einwanderer, die künftig nach Deutschland kommen, im Mittel ungefähr das durchschnittliche Bildungsniveau der aktuellen Bevölkerung in Deutschland mitbringen.
Die für die vorliegende Studie mit den Bevölkerungs- und fiskalischen Daten des Jahres 2012 durchgeführten Steuer-Transfer-Bilanzen fallen günstiger aus als in vergleichbaren früheren Untersuchungen. Hierzu dürfte insbesondere die Wende am deutschen Arbeitsmarkt beigetragen haben, in deren Folge auch die Arbeitslosigkeit von Ausländern spürbar zurückgegangen ist. Addiert man die Steuern und Beiträge auf, welche die älter werdende ausländische Wohnbevölkerung bei unveränderten wirtschaftlichen und fiskalpolitischen Rahmenbedingungen im weiteren Lebensverlauf erbringt, und stellt die von dieser Gruppe im weiteren Lebensverlauf noch in Anspruch genommenen Sozialtransfers dagegen, kommt man auf einen Überschuss in den öffentlichen Kassen im Gegenwartswert von 22.300 Euro je Ausländer.
Allerdings entgehen dem Fiskus per Saldo erhebliche Einnahmen, weil die in Deutschland lebenden Ausländer in Folge niedrigerer Einkommen und Vermögen im Mittel derzeit eine deutlich schlechtere Zahlungsposition einnehmen als Deutsche. Dies zeigt etwa die folgende kontrafaktische Rechnung: Hätte jeder zweite Ausländer dieselben fiskalischen Merkmale wie der Durchschnitt der deutschen Wohnbevölkerung, wäre die über den restlichen Lebensverlauf der ausländischen Wohnbevölkerung auflaufende Nettozahlung an die öffentlichen Haushalte etwa viermal so groß. Wegen der Aussicht auf substanzielle fiskalische Erträge empfiehlt die Studie, verstärkte Anstrengungen zur Verbesserung der Arbeitsmarktposition der ausländischen Bürger zu unternehmen.
Der Überschuss, der bleibt, wenn die von den heute lebenden und künftig geborenen Generationen gezahlten Steuern und Beiträge von den empfangenen Sozialtransfers abgezogen werden, ist bei Weitem nicht groß genug, um die Nachhaltigkeit der öffentlichen Finanzen in Deutschland zu sichern. Eine vorausschauende Bilanzierung unter Berücksichtigung des Finanzierungsbedarfs durch die allgemeinen Staatsausgaben und der demografischen Entwicklung zeigt, dass ein Festhalten an den derzeit gesetzten Einnahmen- und Ausgabenniveaus zu einer Lücke im intertemporalen Staatshaushalt im Wert von knapp 146.6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts führen würde. Das heißt, die implizite Verschuldung Deutschlands, die sich für ein Szenario ohne künftige Wanderungen ergibt, liegt deutlich höher, als es der Ausgangswert der Staatschuld in 2012 von rund 78 Prozent des Bruttoinlandsprodukts anzeigt. Um die implizite Staatsschuld abzutragen, müsste jeder Bürger heute und in Zukunft 1.082 Euro pauschal mehr an den Staat abführen.
Unterstellt man, das künftig 200.000 Personen jährlich zuwandern, kann sich dieser Pauschalbetrag vergrößern oder verkleinern, je nachdem, welche Annahme über die künftige Qualifikationsstruktur der Einwanderer getroffen wird. Im ungünstigen Extremfall, dass künftige Zuwanderer durchweg so qualifiziert sind wie der Durchschnitt der ausländischen Wohnbevölkerung im Jahr 2012, müsste jeder Bürger zur Sicherung der fiskalischen Nachhaltigkeit pro Kopf und Jahr 125 Euro mehr zahlen, als im Referenzfall einer Bevölkerungsentwicklung ohne Wanderungen. In einem moderaten Szenario mit ausschließlich mittel qualifizierten Zuwanderern ergibt sich für jeden Einheimischen dagegen eine jährliche fiskalische Entlastung von 142 Euro. Unterstellt man, dass künftige Zuwanderer zu 20 Prozent gering, zu 50 Prozent mittel und zu 30 Prozent hoch qualifiziert sind, wie es in etwa bei den Neuzuwanderern der Jahre 2008 und 2009 der Fall war, erreicht die fiskalische Entlastung der Einheimischen 406 Euro.
Ein jährlicher Nettozuzug von 200.000 Personen allein kann die Nachhaltigkeitslücke in den öffentlichen Haushalten jedoch nicht schließen. Dazu müsste der völlig unrealistische Extremfall eintreten, dass sämtliche künftigen Einwanderer über eine akademische Ausbildung verfügen. Dennoch, so eine wesentliche Botschaft der Studie, hat Deutschland für die Zukunft gute Aussichten, durch eine systematisch an Humankapital- und Arbeitsmarktkriterien ausgerichtete und kontinuierlich betriebene Politik ökonomisch motivierter Zuwanderung eine spürbare fiskalische Entlastung für die Bevölkerung zu erzielen.
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