Die Ergebnisse der Gemeinschaftsdiagnose Frühjahr 2013 - Positive Signale für die deutsche Konjunktur

Nachgefragt

Die Lage an den Finanzmärkten hat sich entspannt und der weltwirtschaftliche Gegenwind lässt nach. Das sind günstige Bedingungen für die deutsche Konjunktur. Zu dieser Einschätzung kommt die aktuelle Gemeinschaftsdiagnose. Dr. Marcus Kappler, federführend für das ZEW in das Gutachten eingebunden, erläutert die wichtigsten Ergebnisse.

Nach seinem Studium der Volkswirtschaftslehre in Tübingen, Maryland (USA) und Berlin promovierte Dr. Marcus Kappler im Jahr 2007 an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Seit dem Jahr 2002 am ZEW beschäftigt, ist Kappler stellvertretender Leiter der Forschungsgruppe Wachstums- und Konjunkturanalysen. Sein Forschungsinteresse gilt insbesondere der Genauigkeit von Konjunkturprognosen, der Ausbreitung konjunktureller Impulse, der strukturellen Arbeitslosigkeit sowie den Einflussfaktoren des Produktionspotenzials.

Die Forschungsinstitute erwarten, dass das deutsche Bruttoinlandsprodukt (BIP) in diesem Jahr um 0,8 und im nächsten Jahr um 1,9 Prozent wachsen wird. Was treibt die deutsche Wirtschaft?

Die Rahmenbedingungen sind seit einiger Zeit sehr günstig und dürften im Laufe des Jahres der deutschen Wirtschaft Schwung geben. Vor allem hat die Unsicherheit eines Auseinanderbrechens der Eurozone seit der Ankündigung der europäischen Notenbank, notfalls Staatsanleihen der Krisenländer in unbegrenztem Umfang aufzukaufen, stark nachgelassen. Die Situation in Europa hat sich gegenüber dem letzten Jahr also stabilisiert, auch wenn eine nachhaltige Lösung der Krisen in einigen Ländern der Eurozone noch in weiter Ferne liegt. Investoren gewinnen daher wieder Vertrauen, was sich bisher vor allem in den Stimmungsindikatoren niedergeschlagen hat. Die Niedrigzinspolitik der EZB wirkt in Deutschland überaus anregend und dürfte die Investitionstätigkeit im Prognosezeitraum stark anregen. Deutsche Unternehmen sind international wettbewerbsfähig wie selten zuvor und vor allem in den Wachstumszentren, den Schwellenländern, sehr präsent und werden auch künftig von deren Nachfrage profitieren. Außerdem trägt die stabile Verfassung des Arbeitsmarkts zu guten Einkommensaussichten bei, so dass die Konsumnachfrage die deutsche Konjunktur anregen wird.

Die Institute gehen für Deutschland von einem ausgeglichenen Staatshaushalt in diesem Jahr und sogar von einem Überschuss von 0,5 Prozent in Relation zum Bruttoinlandsprodukt für 2014 aus. Hat Deutschland einen nachhaltigen Konsolidierungspfad eingeschlagen?

Die Finanzlage des deutschen Staates hat sich deutlich entspannt. Die Nachhaltigkeit der Finanzpolitik bemisst sich allerdings daran, ob es langfristig gelingt, strukturell ausgeglichene Haushalte vorzulegen. Bei genauer Betrachtung sieht die aktuelle Bilanz nüchterner aus. Die konjunkturbereinigten Überschüsse des Staatshaushaltes gehen nämlich zu einem guten Teil auf Faktoren zurück, die nicht nachhaltig wirken. Zum einen sind das die historisch äußerst geringen Zinsen auf die Staatsschuld, die die Ausgaben senken. Zum anderen entfaltet derzeit die sogenannte kalte Progression der Einkommensbesteuerung ihre volle Wirkung und spült Einnahmen in die Staatskasse, die rein auf eine inflationsbedingte Zunahme des Einkommenssteueraufkommens und nicht auf eine höhere wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Besteuerten zurück zu führen sind. Beide Faktoren wirken aber nur kurzfristig. Zinsen für deutsche Staatsanleihen und damit die Zinsausgaben des Staates werden in absehbarer Zeit wieder steigen. Und die kalte Progression setzt negative Anreize auf das Arbeits- und Kapitalangebot und beeinträchtigt dadurch mittelfristig das Produktionspotenzial und damit auch die steuerliche Bemessungsgrundlage.

Einige Länder der Eurozone stehen nach wie vor unter dem Druck der Schulden- und Wirtschaftskrise. Welche Gefahren bestehen darüber hinaus für die deutsche Wirtschaft?

Die Krisenländer haben begonnen, strukturelle Anpassungen und Strukturreformen vorzunehmen. Allerdings erfordert die Umsetzung einen langen Atem und mutet den betroffenen Ländern erhebliche Anstrengungen zu. Ein Nachlassen der Konsolidierungspolitik und Aussetzen der Reformprozesse kann jederzeit zu neuen Turbulenzen führen, was die Irritationen im Zusammenhang mit der Wahl in Italien und der Bankenkrise in Zypern gezeigt haben. Allerdings ist die Wahrscheinlichkeit einer ähnlichen Zuspitzung der Krise wie im vergangenen Jahr, als die Existenz der Gemeinschaftswährung in Frage stand, deutlich gesunken.

Gibt es neben den Risiken weitere Chancen für die deutsche Konjunktur?

Die Prognose im Frühjahr gibt das wahrscheinlichste Szenario für die Entwicklung der deutschen Wirtschaft wider. Damit ist auch klar, dass Abweichungen nach unten sowie nach oben möglich sind, sollten sich grundlegende Annahmen der Prognose ändern. Die genannten Rahmenbedingungen für die Konjunktur in Deutschland sind derzeit so stimulierend, dass die deutsche Wirtschaft im günstigen Fall sogar stärker als in der Basisvariante unterstellt wachsen könnte. Das 68 Prozent-Prognoseintervall für das BIP-Wachstum in diesem Jahr reicht von 0,1 Prozent bis 1,5 Prozent.

Über die Gemeinschaftsdiagnose Frühjahr 2013

Im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums erarbeitet die Gemeinschaftsdiagnose jeweils im Frühjahr und Herbst eines Jahres eine Referenz für die Projektionen der Bundesregierung zur wirtschaftlichen Entwicklung. Sie analysiert und prognostiziert die wirtschaftliche Lage in Deutschland, im Eurogebiet und in der Welt in der kurzen Frist und liefert Empfehlungen für die Wirtschaftspolitik. Eine Mittelfristprojektion ist fester Bestandteil jeder Gemeinschaftsdiagnose. Sie wird derzeit von den folgenden Forschungseinrichtungen erstellt:

  • Institut für Wirtschaftsforschung Halle in Kooperation mit Kiel Economics
  • ifo-Institut – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung an der Universität München e.V. in Kooperation mit KOF Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich
  • Institut für Weltwirtschaft an der Universität Kiel in Kooperation mit Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW), Mannheim
  • Rheinisch-Westfälisches Institut für Wirtschaftsforschung in Kooperation mit Institut für Höhere Studien, Wien