Prof. Achim Wambach, PhD, Präsident des ZEW – Leibniz-Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung, Mannheim, wehrt sich gegen die Behauptung, die VWL sei zu einseitig.

Das kam für viele überraschend: Für die Neubesetzung einer der fünf Posten im prestigereichen Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung haben die Gewerkschaften einen Ökonomen nominiert, der der Volkswirtschaftslehre „mangelnde Selbstreflexion und fehlende Methoden- und Theorienvielfalt“ vorwirft. Ein Affront gegen das Fach? Oder Ausdruck einer notwendigen Erweiterung des Fachs, wie es seit der Finanzkrise vor zehn Jahren häufiger zu hören ist? Beides wird der Sache nicht gerecht.

Die Gewerkschaften haben gewohnheitsrechtlich das Nominierungsrecht für einen der fünf Posten im Sachverständigenrat. Das formale Kriterium für die Ernennung eines Mitglieds sind nach dem Sachverständigenratsgesetz „besondere wirtschaftswissenschaftliche Kenntnisse und volkswirtschaftliche Erfahrungen“. Diese wird Achim Truger, der seine Laufbahn im Institut für Makroökonomik und Konjunkturforschung der Hans-Böckler-Stiftung begonnen hat, mitbringen. Seine Einschätzungen wird er bei der Arbeit des Sachverständigenrats einbringen. Ihm ist dabei viel Erfolg und eine gute Hand zu wünschen.

Die Nominierung von Achim Truger damit zu rechtfertigen, dass die etablierte VWL zu einseitig sei, ist jedoch nicht zutreffend. Die VWL ist ein lebendiges Fach mit zahlreichen unterschiedlichen Ansätzen und Strömungen. Verhaltensökonomik statt einfaches Homo oeconomicus Denken, Marktdesign statt Marktliebe, Nachhaltigkeit statt Wachstumsgläubigkeit, wie der diesjährige Alfred-Nobel-Gedächtnispreis für Wirtschaftswissenschaften gut zum Ausdruck gebracht hat, der an je einen Vertreter der endogenen Wachstumstheorie und der Umweltökonomie ging. Dynamische Makromodelle berücksichtigen mittlerweile die Liquiditätsnöte einer Volkswirtschaft besser als früher. Finanzökonomen/ -innen ringen um ein genaueres Verständnis von systemischen Risiken und wie systemische Krisen entstehen können. Ist die Deutsche Bank systemisch? Können Versicherungen wie die Allianz den Finanzmarkt ebenso in die Knie zwingen wie die Insolvenz von Lehman Brothers? Ebenso wurde der Methodenraum erweitert: Die diesjährigen Preisträger/innen des Vereins für Socialpolitik, Isabel Schnabel und Moritz Schularick, stehen stellvertretend für eine sehr aktive und neue Forschungsrichtung, bei der mit Hilfe historischer Daten die Entstehung und Bewältigung von Finanz- und Wirtschaftskrisen untersucht wird.

"Das Fach VWL ist vielfältig und entwickelt sich stetig weiter"

Diese Entwicklungen im Fach finden weltweit statt. Die Wissenschaftsgemeinschaft ist international, Deutschland ist Teil davon. Unsere Studenten/-innen gehen nach dem Bachelor, Master oder der Promotion nach England, Frankreich oder in die USA. An der London School of Economics, in Paris und Yale lehren Menschen, die in Deutschland studiert haben. Umgekehrt haben nicht wenige deutsche Wissenschaftler/innen Teile ihrer Ausbildung im Ausland erfahren. Die Internationalität des Fachs schlägt sich auch in der Lehre nieder. Der an den meisten Universitäten gelehrte klassische Kanon von Mikroökonomik, Makroökonomik und Ökonometrie ist nicht nur die notwendige Basis für einen Berufsweg als Volkswirt/in etwa in Zentralbanken oder Ministe­rien, sondern ermöglicht auch im Studium den einfachen Wechsel an Universitäten im Ausland, die auf denselben Kanon und auch auf dieselben Lehrbücher zugreifen.

Das Fach VWL ist vielfältig, und entwickelt sich stetig weiter, egal wer für den Sachverständigenrat nominiert wird. Mit Blick auf die Wissenschaft haben die Gewerkschaften bei ihrer Nominierung allerdings eine Chance vergeben. Unsere Doktoranden/-innen sind stets auf der Suche nach neuen relevanten Fragestellungen. Eine Person im Rat, die in der Wissenschaft etabliert ist und sich zugleich mit den Interessen und Problemen von Arbeitnehmerschaft und Gewerkschaften beschäftigt, hätte einen Sog bewirken und Interesse für die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit solchen Fragen schüren können. Kandidaten/-innen dafür hätte es gegeben. Dass diese wohl aber nicht ausreichend auf dem Radar der Gewerkschaften waren, müssen sich beide Seiten zuschreiben. Bei der öffentlichen Wahrnehmung des Faches VWL gibt es offensichtlich noch Einiges zu tun.

Dieser Beitrag ist zuerst am 14. Dezember 2018 in der „Wirtschaftswoche" erschienen.

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