„Es ist wichtig, in dieser Ausnahmesituation wirtschaftspolitisch gegenzusteuern“
VeranstaltungsreihenLars Feld präsentiert das aktuelle Jahresgutachten der Wirtschaftsweisen am ZEW Mannheim
Die Corona-Pandemie hat zu einer der schwersten Rezessionen der Nachkriegszeit geführt – eine Normalisierung der wirtschaftlichen Lage ist derzeit noch nicht absehbar. Vor diesem Hintergrund stellte Professor Dr. Dr. h.c. Lars P. Feld, Vorsitzender des Sachverständigenrats, am 8. Dezember 2020, die zentralen Punkte des jüngst veröffentlichten Jahresgutachtens 2020/21 vor. Im Gutachten mit der Überschrift „Corona-Krise gemeinsam bewältigen, Resilienz und Wachstum stärken“ forderte der Sachverständigenrat die Bundesregierung auf, die Wirtschaftspolitik in Deutschland nachzujustieren. Die virtuell durchgeführte Veranstaltung war Teil der Vortragsreihe „Wirtschaftspolitik aus erster Hand“ am ZEW Mannheim. ZEW-Präsident Professor Achim Wambach, Ph.D., moderierte die anschließende Diskussion mit dem Referenten.
Einen Schwerpunkt seines Vortrags legte Feld auf die Konjunkturprognose für das laufende und das nächste Jahr. „Die Corona-Pandemie und ihre Folgen werden die deutsche Volkswirtschaft noch längere Zeit begleiten“, so sein Fazit. Der Sachverständigenrat (SVR) gehe davon aus, dass die deutsche Wirtschaft im laufenden Jahr um 5,1 Prozent schrumpfen werde, für das Jahr 2021 erwarte er dagegen ein Wachstum von 3,7 Prozent. „Das Vorkrisenniveau werden wir allerdings nicht vor 2022 erreichen“, sagte Feld. Für den Euroraum erwarte der SVR, dass die Wirtschaft dieses Jahr um 7,0 Prozent schrumpfen und im kommenden Jahr dann um 4,9 Prozent wachsen werde. Bei der Prognose für 2021 hätten die Ratsmitglieder allerdings lediglich die moderaten Einschränkungen berücksichtigt, die derzeit in vielen europäischen Ländern gelten würden, und keine Regeln eines harten Lockdowns. Kämen weitere, stärkere Einschränkungen hinzu, sei diese Vorhersage wohl nicht zu halten, schränkte Feld ein.
Pandemie durch geld- und fiskalpolitische Maßnahmen überwinden
Im zweiten Schwerpunkt seines Vortrags widmete sich Feld der Stabilisierungspolitik der Bundesregierung in der Corona-Krise. Seiner Meinung nach sei es „wichtig, in dieser Ausnahmesituation wirtschaftspolitisch gegenzusteuern“. Umfangreiche geld- und fiskalpolitische Maßnahmen hätten die Wirtschaft in der Krise sehr rasch gestützt, nicht nur auf nationaler Ebene in Deutschland und anderen europäischen Staaten, sondern auch auf EU-Ebene. In Deutschland mache der Umfang der fiskalpolitischen Maßnahmen der Bundesregierung etwa 40 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) aus. Davon entfalle jedoch der weitaus größte Teil auf Kredite, Garantien und Bürgschaften. Ob diese Maßnahmen wirksam würden, müsse noch abgewartet werden. Der SVR geht davon aus, dass die konjunkturpolitischen Maßnahmen und hier insbesondere das Paket vom Juli 2020 einen Effekt von 0,7 bis 1,3 Prozent auf das BIP haben werden. Bei der Umsatzsteuersenkung, so Feld, sei der SVR „differenziert skeptisch“: Einerseits hänge der Konjunktureffekt davon ab, dass die Senkung nur vorübergehend sei und nicht verlängert werde, andererseits auch davon, wie viel in den Preisen an die Verbraucher/innen weitergegeben werde. Der SVR rechne mit etwas mehr als 50 Prozent. „Dies ist eine teure, wenig zielgerichtete Maßnahme, die nur einen moderaten konjunkturellen Effekt haben dürfte“, meinte Feld. Der SVR würde daher einer Umsatzsteuersenkung den Ausbau des steuerlichen Verlustrücktrags für Unternehmen vorziehen.
Bei den Überbrückungshilfen im November und Dezember war Feld der Ansicht, dass „von der Höhe her zu viel gezahlt wird“. Man müsse klar sagen, dass die Orientierung am Umsatz des Vorjahresmonats einfach zu üppig sei – es reiche eigentlich, Fixkosten und einen kalkulatorischen pauschalierten Unternehmerlohn zu zahlen und nicht auch variable Kosten. Aus konjunkturpolitischer Sicht seien diese Maßnahmen auch nicht notwendig gewesen, führte Feld aus, sondern es gebe rechtliche Gründe: „Man will verhindern, dass die Gastwirte klagen.“ Um auf künftige Krisen erneut angemessen reagieren zu können, sollten mittelfristig wieder Spielräume für die Fiskal- und Geldpolitik eröffnet werden. „Wenn sich die Wirtschaftslage nachhaltig verbessert hat, sollte man durchaus auch wieder zur Konsolidierung“ und zur Regelgrenze der Schuldenbremse zurückkehren, sagte Feld.
Langfristige Herausforderungen im Blick behalten
Im weiteren Verlauf seines Vortrags ging Feld auf langfristige Herausforderungen für die deutsche und die europäischen Volkswirtschaften ein. Er nannte den Rückgang des Produktivitätswachstums, den technologischen Wandel und hier insbesondere die Digitalisierung, die Transformation hin zu einer klimaneutralen Wirtschaft und den demografischen Wandel. „Die Wirtschaftspolitik“, so Feld, „sollte die Chancen ergreifen und die Rahmenbedingungen für eine widerstandsfähige und zukunftsorientierte Wirtschaft schaffen.“ Anschließend diskutierten ZEW-Präsident Wambach und der SVR-Vorsitzende Details des Gutachtens. Themen waren hierbei neben Fiskalpolitik, Produktivität und Klima auch die Rente und hier insbesondere die Frage einer Anhebung des Renteneintrittsalters sowie die möglichen Lerneffekte für Europa aus der Corona-Krise. In die Diskussion flossen auch zahlreiche Fragen ein, die die rund 230 Zuschauer/innen des Livestreams vorab schriftlich ans ZEW geschickt hatten.