Gedenkveranstaltung am ZEW – "Lothar Späth war Europäer"

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ZEW-Präsident Achim Wambach begrüßt die rund 300 Gäste der Gedenkveranstaltung für Lothar Späth.

Mit der Globalisierung und einhergehenden Phänomenen wie Migration, Klimawandel und Digitalisierung steht Europa vor enormen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Veränderungen. Prof. Dr. h.c. Lothar Späth, ehemaliger Ministerpräsident Baden-Württembergs und Mitinitiator des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW), hat diese Herausforderungen antizipiert, seine Gedanken dazu sind hochaktuell. Bei der gemeinsamen Gedenkveranstaltung der baden-württembergischen Landesregierung und des ZEW in Mannheim am 21. März 2017 setzten sich ZEW-Präsident Prof. Achim Wambach, Ph.D, Ministerpräsident Winfried Kretschmann MdL und EU-Kommissar Günther H. Oettinger jeweils mit dem geistigen und wirtschaftspolitischen Erbe Lothar Späths auseinander – und betonten gleichsam, welche Handlungsmaximen sich für Europa daraus ergeben.

"Lothar Späth war ein Macher, der die Dinge umzusetzen wusste", sagte ZEW-Präsident Achim Wambach in seiner Rede vor rund 300 geladenen Gästen aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft am ZEW. Mit großer Umtriebigkeit habe Späth ehrgeizige Pläne für die wirtschaftliche Zukunftssicherung Baden-Württembergs verfolgt – nicht zuletzt durch seine Impulse bei der Gründung des ZEW im Jahr 1990. "Als zukunftsweisend hat sich damals der Auftrag an das neue Forschungsinstitut erwiesen, sich insbesondere der europäischen und internationalen Wirtschaftsforschung zu widmen", erklärte Achim Wambach.

Für Lothar Späth hätten der Wissenstransfer und die Praxisnähe der Forschung immer eine entscheidende Rolle gespielt. "Daher hat sich das ZEW auch nie als ein Institut im Elfenbeinturm der Wissenschaft verstanden." Dieser Auftrag habe gerade in der heutigen Zeit an Bedeutung gewonnen. "Das ist ein Appell an uns als Ökonomen", so der ZEW-Präsident. Projekte zur betrieblichen Weiterbildung als Schlüssel zur erfolgreichen Bewältigung der Digitalisierung, zum Innovationsgeschehen in Deutschland und Europa sowie zu Klimawandel, Chancengerechtigkeit und Zuwanderung stellten einen Beitrag dar, um dem Gründungsauftrag zu folgen und Klarheit auf der Basis von Fakten zu schaffen – zumal Lothar Späth das Zitat zugeschrieben werde: "Wir haben klare Verhältnisse, wir wissen nur noch nicht welche."

"Europa muss in Bewegung bleiben und sich verändern"

Im Anschluss an Achim Wambach sprach der amtierende Ministerpräsident Baden-Württembergs, Winfried Kretschmann, über die "Rolle Europas in Zeiten des Umbruchs". Lothar Späth habe Europa als Zukunftsmodell für die globalisierte Welt skizziert. "Er hat das Thema Innovation überhaupt erst in die Landespolitik eingeführt und zu einer tragenden Säule gemacht", so Kretschmann, "das war eine gewaltige Leistung". Diese Vision scheine angesichts gegenwärtiger nationalistischer Bewegungen in Europa allerdings in die Ferne gerückt. "Viele Menschen fühlen sich von den Umbrüchen unserer Zeit bedroht", sagte der Ministerpräsident und nannte die Flüchtlingskrise, Terrorismus, die Regulierung multinationaler Konzerne und Datenschutz als Beispiele. "Wir müssen diese Probleme kraftvoll angehen", forderte Kretschmann, "keines davon lässt sich ohne Europa lösen." Europa müsse in Bewegung bleiben und sich ändern, allerdings auch der Motor für die globale Veränderung sein, "wenn der Motor in den USA stottert".

Als Land im Herzen Europas sei Baden-Württemberg wie keine andere Region der Welt international verflochten. "Die Wertschöpfungsketten unserer Unternehmen laufen heute zwei Mal um den Globus und drehen mehrere Pirouetten in den europäischen Nachbarstaaten", unterstrich der Landesvater. Regionen seien eine unverzichtbare Ressource in Zeiten des rasanten Wandels. "Wir brauchen – mit den Worten von Lothar Späth – ein 'Europa der Regionen'", so Kretschmann. Dabei dürfe aber nicht alles zwangsharmonisiert werden, wie Späth stets betont habe, sondern es brauche Platz für Verschiedenheit. „Deshalb müssen wir das Subsidiaritätsprinzip ernst nehmen." Gleichzeitige Veränderung sei somit eine Frage der Verantwortung. "Es ist auch eine Chance, Begeisterung für Europa zu wecken – so wie es Lothar Späth immer getan hat."

"Die Menschen müssen mitgenommen werden"

Günther Oettinger, EU-Kommissar für Haushalt und Personal, pflichtete in seiner Ansprache Winfried Kretschmann bei: "Lothar Späth war Europäer." Der frühere Regierungschef im "Ländle" habe immer im Blick behalten, dass die europäischen Nationalstaaten für die großen Aufgaben auf Dauer zu klein seien und für die kleinen Aufgaben auf Dauer zu groß. Dieser Gedanke sei auch bei der Gründung des ZEW spürbar gewesen: "Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung – allein das war eine Vision in einer Zeit, als sich viele Wissenschaftler noch ausschließlich mit Nationalökonomie beschäftigten", so Oettinger. Späths Wunsch sei es gewesen, dass Baden-Württemberg mit dem ZEW ein wahrnehmbares Wirtschaftsforschungsinstitut habe – und er habe zu einem sehr frühen Zeitpunkt bereits eine Landesvertretung in Brüssel gegründet. "Heute ist das eine Selbstverständlichkeit für alle Bundesländer und andere Regionen Europas", verdeutlichte der EU-Kommissar.

Durch seine Initiativen habe Lothar Späth einen Sinn für die kommenden, großen Herausforderungen Europas bewiesen. "Die vergangenen Jahrzehnte waren von Globalisierung, Digitalisierung und Automatisierung geprägt – und die nächsten werden es bleiben." Allerdings mahnte Oettinger: "Die Menschen müssen dabei mitgenommen werden." Da Europa wie kein anderer Kontinent von Regionen der Instabilität umgeben sei, sei Europa aber nach wie vor auch eine Friedensunion der Gegenwart und nicht nur des vergangenen Jahrhunderts. "'America first' heißt, Europa muss endlich erwachsen werden", bemerkte der Politiker mit Blick auf die US-Regierung unter Donald Trump. In einem globalen Wettbewerb von Werteordnungen und Gesellschaftmodellen gelte es, europäische Werte wie Rechtsstaatlichkeit, freie Meinungsäußerung und repräsentative Demokratie zu exportieren. "Die Gedanken von Lothar Späth sind dabei eine Blaupause für uns", schloss Oettinger.