Geschnatter
StandpunktDas Soziale ist für die meisten Menschen mit einem Wohlgefühl, zumindest mit einer positiven Konnotation versehen. Deshalb schmücken sich zahlreiche Institutionen mit diesem Adjektiv, angefangen von der Sozialen Marktwirtschaft bis hin zu den Sozialpartnern. Bei den "sozialen" Netzwerken Facebook, Google+ und Twitter will sich jedoch ein solches Wohlgefühl nicht mehr so recht einstellen, vielmehr läuft es selbst eifrigen Befürwortern seit kurzem eiskalt den Rücken runter. Solche Netzwerke sind keine Sozialeinrichtung, sondern kommerzielle, gewinnorientierte Vermarkter von Nutzerdaten zu vielfältigen Zwecken. Es mutet schon hanebüchen an, wie viele nicht nur junge Nutzer allen Ernstes glauben, die Betreiber der Netzwerke seien uneigennützige Helfer der Menschheit. Das wäre hinnehmbar, gäben nicht neueste Entwicklungen Anlass zur Sorge.
Den Reigen eröffnete Google mit einer neuen Datenschutzrichtlinie ab März dieses Jahres. Bereits vorher machte Google die Angabe eines Realnamens zur Voraussetzung, um seinen frisch eingeführten Datendienst Google+ nutzen zu können. Die neue Datenschutzrichtlinie verknüpft nun unterschiedliche Google-Dienste wie etwa Google-Suche, Google-Mail, Picasa Fotospeicherung, Chat-Daten, Nutzungsdetails der Android-Smartphones und die Kommunikation bei Google+. Den gesamten Telefonverkehr der betreffenden Nutzer darf Google nunmehr speichern, also wer mit wem, wann und wo telefoniert oder SMS getauscht hat. Während sich hierzulande Politiker heftige Kontroversen über die Möglichkeiten und Grenzen einer "Vorratsdatenspeicherung" liefern, ist dieses Thema bei Google längst abgehakt, von der vielgepriesenen "informellen Selbstbestimmung" erst gar nicht zu reden, denn "was Google im Hintergrund macht, macht es im Geheimen" (Datenschutzbeauftragter Th. Weichert).
Bei Facebook erklärt sich der Nutzer darüber hinaus mit der Weiterleitung all dieser Informationen in die Vereinigten Staaten einverstanden, einschließlich einer dortigen "Weiterverarbeitung", was immer das im Einzelnen heißen mag. Zwar kann bei Facebook die Kommunikation auf den "Freundeskreis" beschränkt werden, aber Facebook kennt und speichert sie. Wer bei Twitter zwitschert, sollte wissen, dass Presseberichten zufolge das britische Unternehmen DataSift den Zugriff auf das gesamte Twitter-Archiv seit Januar 2010 vermarkten darf und zudem anbietet, Twitter-Daten mit Informationen aus Google+ und Facebook zu verknüpfen (C. Kurz, FAZ vom 2.3.2012). Ein Entkommen aus diesen Netzwerken gestaltet sich häufig als sehr schwierig, weil es kein "woanders" gibt, wenn die Freunde bei Facebook sind, und die Markteintrittshürden bei solchen Oligopolen bekanntlich hoch sind.
Es geht wirklich nicht darum, Facebook, Google und Twitter zu verteufeln. Dafür leisten sie viel zu gute Dienste. Aber den Nutzern muss bewusst sein oder klar gemacht werden, auf was sie sich einlassen. Gegen profilgerechte Werbung ist prinzipiell nichts einzuwenden und sie mag vielen Nutzern egal oder sogar willkommen sein. Sie sollten jedoch wissen, dass Google die Werbebotschaften danach platziert, wie viel das werbende Unternehmen dafür bezahlt hat, wie das auch sonst der Fall ist. Man muss in diesem Zusammenhang nicht gleich von einer "Entmündigung" dieser Menschen sprechen, aber sicherlich gibt es Nutzer, die es eigentlich ablehnen, dass Google ihre Präferenzen genau kennt und die stattdessen lieber ein paar Suchbegriffe mehr eintippen, um die gewünschten Informationen zu erhalten. Nutzern von Facebook sollte bekannt sein, dass die Personalabteilungen von Unternehmen, bei denen sie sich um einen Arbeitsplatz beworben haben, nicht selten die Facebook-Eintragung studieren, um die Informationen zu bekommen, die sie beim Bewerbungsgespräch nicht erfragen dürfen oder die ihnen verschwiegen werden. Die Polizei liest möglicherweise ebenfalls mit und kann in diesem Zusammenhang nach eigenen Angaben beachtliche Fahndungserfolge vermelden, die sie sonst nicht erzielt hätte. Der Erfolg als solcher geht völlig in Ordnung, aber wie sieht es mit möglichen Kollateralschäden bei Unbeteiligten aus?
Also gerne weiterhin googeln, aber vielleicht das Webprotokoll deaktivieren.