Gestaltung von Transformationsprozessen bedarf der Kenntnis von Zeiten und Eigendynamiken betroffener Systeme

Forschung

ZEW-Studie zum zehnjährigen Jubiläum des WBGU-Hauptgutachtens

Eine ZEW-Studie untersucht, was vom WBGU-Gutachten umgesetzt wurde und wie der Bericht zu beurteilen ist.

Im April 2011 wurde das Hauptgutachten des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung für Globale Umweltveränderungen (WBGU) veröffentlicht. Das Gutachten stieß damals als Impulsgeber für eine Transformation hin zu einer nachhaltigen Welt auf viel Resonanz. Was von den geforderten Veränderungen umgesetzt wurde und wie der Bericht zu beurteilen ist, zeigt eine aktuelle Studie des ZEW Mannheim zusammen mit der deutschen Energie-Agentur (dena) und Autoren der Universität Heidelberg.

Die Studie nimmt unter die Lupe, was sich in den vergangenen zehn Jahren tatsächlich verändert hat und inwiefern das WBGU-Gutachten zu mehr Nachhaltigkeit geführt hat. Denn Ziel des Gutachtens war es, den Grundstein für eine Welt des nachhaltigen Wirtschaftens zu legen. Dazu formulierte es einen Katalog an dringend notwendigen Veränderungen, um  letztlich eine Große Transformation anzustoßen. Diese Transformation sei ähnlich umfassend, wie zuletzt der Übergang von der Agrar- zur Industriegesellschaft in der Industriellen Revolution. Dazu sollten ein globaler Gesellschaftsvertrag etabliert und umfassende nachhaltige Politiken innerhalb von zehn Jahren effektiv umgesetzt werden.

Mit Blick auf die postulierten großen Linien der Klimapolitik kritisieren die Autoren das Gutachten in ihrer Bestandsaufnahme. Weder die Etablierung eines globalen Gesellschaftsvertrages, noch die hohen Erwartungen an eine Global Governance haben die klimapolitischen Erfolge des vergangenen Jahrzehnts entscheidend geprägt. Sie scheiterten an ihrer mangelnden Umsetzbarkeit. Die Vereinbarung der Pariser Klimaziele 2015 und die nachfolgenden Maßnahmen konnten ihre Wirkung deshalb entfalten, weil sie sich von Forderungen dieser Art verabschiedeten. So zeigen unter anderem Untersuchungen des ZEW, dass im Pariser Abkommen der Top-Down Ansatz durch einen Bottom-Up-Ansatz ersetzt wird. Auf diese Weise wird den beteiligten Staaten ermöglicht, ihren Weg zur Erreichung der Ziele selbst zu wählen und zu gestalten.

Verständnis von Zeit entscheidend

Zentral für die Beurteilung der Herangehensweise des WBGU an die Gestaltung von Transformationen ist dessen Verständnis von Zeit. Für den WBGU gibt es nur eine lineare, homogene Zeit, die gleichermaßen für die Natur und für alle Gesellschaften gilt. Dieses verkürzte Verständnis von Zeit führt dazu, dass innerhalb der Dynamiken von Natur, Wirtschaft, Politik und Gesellschaft weder Handlungsmöglichkeiten noch Handlungsbeschränkungen realistisch eingeschätzt werden können. Indem nur darauf geschaut wird, dass die Uhr sprichwörtlich auf „5 vor 12“ steht, rücken Fragen nach der politischen und ökonomischen Umsetzbarkeit der notwendigen Maßnahmen in der gegebenen Zeit ebenso in den Hintergrund, wie die Herausforderung, innerhalb kurzer Zeit gesellschaftliche Akzeptanz für diese Maßnahmen zu gewinnen. Entscheidend für Umwelt- und Klimapolitik ist es, dass die betroffenen ökologischen, ökonomischen und sozialen Zusammenhänge von Eigenzeiten geprägt sind. Das bedeutet, dass soziale, ökonomische und ökologische Prozesse also über eigene Dynamiken, Zeitstrukturen und – bedarf verfügen. „Die demokratische Mehrheitsfindung für Maßnahmen bedarf einer gewissen Zeit, der Umbau eines Energiesystems braucht selbst in einer modernen Gesellschaft Jahrzehnte, man denke an den Ausbau der Stromtrassen in Deutschland oder die Entwicklung der Wasserstofftechnologie und -infrastruktur. Und auch die Entwicklung neuer, klimafreundlicher Technologien kann sehr lange dauern – ganz zu schweigen von Veränderungen in ökologischen Systemen“, erklärt Marc Frick, Referent am ZEW-Forschungsbereich Umwelt- und Ressourcenökonomik, Umweltmanagement und einer der Autoren der Studie.

Diese Eigenzeiten müssen berücksichtigt werden, um gute Lösungen für klimapolitische Herausforderungen zu finden, die den komplexen ökologischen, sozialen, ökonomischen und politischen Anforderungen gerecht werden. Mit Blick auf die unterschiedlichen Eigenzeiten und spezifischen Kontexte wird deutlich, dass es sich bei der Gestaltung einer nachhaltigen Wirtschaft nicht um eine Große Transformation handelt. Vielmehr arbeiten unterschiedliche Akteure an unterschiedlichen Orten mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten an vielen sozial-ökologischen Transformationen, die es zu verstehen und zu gestalten gilt.

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