Im Krisenfall muss Europa seine Schulden umstrukturieren können
VeranstaltungenZEW Lunch Debate "Reforming the Eurozone: How to Handle Sovereign Debt?"
Die europäische Staatsschuldenkrise hat die wirtschaftliche und finanzielle Anfälligkeit des Euroraums deutlich gemacht. Im erneuten Krisenfall kann die öffentliche Verschuldung schnell auf ein untragbares Niveau steigen. Daher sind Alternativen gefragt, um zukünftige Schuldenkrisen abzuschwächen. Eine Möglichkeit ist ein Verfahren zur Erleichterung einer geordneten Restrukturierung von Staatsschulden („Sovereign Debt Restructuring Mechanism“, SDRM), eine Art internationales Insolvenzverfahren. Darüber diskutierten Expertinnen und Experten bei der ZEW Lunch Debate am 28. März 2019 in der Brüsseler Vertretung des Landes Baden-Württemberg bei der Europäischen Union, die vom ZEW – Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung, Mannheim, zusammen mit dem Forschungsnetzwerk EconPol Europe ausgerichtet wurde.
Nach einer kurzen Begrüßung durch den Leiter der Landesvertretung, Bodo Lehman, stellte Dr. Frederik Eidam, Wissenschaftler im ZEW-Forschungsbereichs „Internationale Finanzmärkte und Finanzmanagement“, die Ergebnisse einer aktuellen ZEW/EconPol-Analyse in einem Vortrag vor, die sich mit den möglichen Varianten in der Ausgestaltung eines SDRM befasst. Eidam betonte, dass es nicht das eine ideale Modell gebe. Vielmehr erfordere es viele Entscheidungen entlang unterschiedlicher Dimensionen der Restrukturierung. Daher befasst sich die ZEW/EconPol-Analyse mit den grundlegenden Problematiken, Trade-offs sowie den Vor- und Nachteilen verschiedener Designelemente eines SDRM.
Anhand der fünf Dimensionen Institutionelle Zuweisung von Verantwortlichkeiten, Aktivierung des Verfahrens, Design und Umfang des Restrukturierung, Rolle und Details von Vertragsklauseln in den Anleihebedingungen, sogenannten „Collective Action Clauses“ (CACs), sowie Sicherung der Finanzstabilität machte Eidam deutlich, dass ein Umschuldungsmechanismus dazu beitragen kann, künftige Staatsschuldenkrisen zu entschärfen oder sogar zu lösen. Wichtig sei dabei die Beurteilung der zugrundeliegenden Kompromisse einzelner Verfahrenselemente, die sich je nach nationalen Interessen und Wahrnehmung politischer und wirtschaftlicher Kosten unterscheiden. So müssen laut Studie beispielsweise institutionelle Zuständigkeiten mit Blick auf Liquiditätsbereitstellung oder Schuldentragfähigkeitsanalyse eindeutig einer neutralen Institution zugewiesen werden. Eine solche Zuordnung sei aber auch von der jeweiligen Position mit Blick auf Transfers unter den Mitgliedsländern der Eurozone abhängig. Hier sei eine Unterscheidung zwischen Insolvenz und Illiquidität einzelner Eurostaaten nötig jedoch schwierig.
Ein SDRM schaffe zudem Ergänzungen zwischen einzelnen Designvarianten und sorge so für mehr politische Flexibilität, erklärte Eidam weiter. Designentscheidungen in einer Dimension könnten zu Einschränkungen oder Lockerungen in einer anderen der genannten fünf Dimensionen führen. Insgesamt gebe es aber keinen überzeugenden Grund, die Suche nach dem einem Restrukturierungsverfahren für Staatsanleihen in der Eurozone weiter zu verschieben.
Auf dem Podium herrscht Uneinigkeit
Im Anschluss an den Vortrag diskutierten mit Prof. Dr. Friedrich Heinemann, Leiter des ZEW-Forschungsbereichs „Unternehmensbesteuerung und Öffentliche Finanzwirtschaft“ auf dem Podium Isabelle Job-Bazille, Leiterin der Wirtschaftsabteilung bei der französischen Großbank Crédit Agricole S.A. und Lucio Pench, Direktor für Fiskalpolitik und Policy-Mix in der Generaldirektion Wirtschaft und Finanzen der Europäischen Kommission. Moderiert wurde die Debatte vor rund 100 Gästen in der baden-württembergischen Landesvertretung von Dr. Werner Mussler, Wirtschaftskorrespondent der Frankfurter Allgemeinen Zeitung in Brüssel.
Die Diskutanten waren sich über eine Einführung, Gestaltung und Auswirkungen eines SDRM für Staatsschulden uneinig. Lucio Pench äußerte Bedenken, ob ein solches Verfahren überhaupt nötig sei. Es bliebe abzuwarten, ob überhaupt Fälle von klarer Staatsinsolvenz künftig eintreten könnten und ob man hierfür einen besser definierten Mechanismus für die Umschuldung der Schulden brauche. Aus seiner Sicht berge ein SDRM zu viele finanzielle wie gesamtwirtschaftliche Risiken. Er argumentierte, dass es äußerst schwierig sei, Insolvenz im Unterschied zu einer vorübergehenden Liquiditätskrise festzustellen. Ein solches Verfahren derzeit zu beschleunigen wäre daher nicht sinnvoll.
Friedrich Heinemann hielt dagegen, dass es sowohl in der Vergangenheit eindeutige Insolvenzfälle wie beispielsweise Griechenland gab als auch in der Zukunft wahrscheinlich weitere eintreten werden. Seiner Argumentation zufolge, stellt die Gewährung von „Liquiditätshilfen“ für ein zahlungsunfähiges Land bereits heute einen reinen Transfer dar. Man steuere daher auf eine gigantische Transferunion zu, die aber derzeit noch einen institutionellen und regulatorischen Rahmen benötige. Bisherige Transfers würden ernsthafte Probleme demokratischer Legitimität aufwerfen, so Heinemann.
Auch Isabelle Job-Bazille befürwortete den Mehrwert eines SDRM insgesamt, bezweifelte jedoch stark, ob dies derzeit realisierbar sei. Ihre Bedenken galten vor allem einer zu geringen Sicherung der Finanzstabilität im Euroraum. So würde ein Restrukturierungsmechanismus auf zu viele Länder der Eurozone destabilisierend wirken, je näher man an den Auslösepunkt des Verfahrens komme. Bei den einzelnen Designvarianten gebe es zu viele Unberechenbarkeiten, die zu einer größeren Fragilität der Eurozone beitragen könnten.