Industriedynamik und Produktivitätsentwicklung in Deutschland – Niedrigtechnologiesektoren stärker fördern
ForschungEin Rückgang des Produktivitätswachstums und eine nachlassende Unternehmensdynamik sind in Deutschland seit Jahren in fast allen Branchen deutlich erkennbar. Politische Entscheidungsträger befürchten daher langfristige Auswirkungen auf Wirtschaftswachstum und Beschäftigung. Was es braucht, sind eine deutlich höhere Unternehmens- und Produktivitätsdynamik. Doch wie? Vor allem Unternehmen im Niedrigtechnologiesektor sind Treiber der Produktivitätsentwicklung – und bisher zu wenig im Blickfeld der Politik, wie eine aktuelle Studie des ZEW Mannheim im Auftrag der Bertelsmann Stiftung zeigt.
Die Studie untersucht anhand von Daten des Mannheimer Unternehmenspanels (MUP), des Mannheimer Innovationspanels (MIP) und des IAB/ZEW-Startup-Panels, wie sich die Branchendynamik durch Markteintritte und -austritte auf die Produktivität von am Markt etablierten Unternehmen auswirkt. Erkennbar ist, dass sich in allen Branchen die Unternehmensdynamik seit 2005 immer weiter abschwächt. Unternehmensgründungen gehen ebenso wie Unternehmensschließungen stetig zurück: Waren es 2005 in den untersuchten Branchen noch 205.978 Gründungen, sanken die Gründungszahlen bis 2019 auf 132.855. Austritte gingen im selben Zeitraum von 168.289 auf 105.882 zurück – mit Ausnahme der IT-Branche und der Region Berlin.
Wie die Studie zeigt, unterscheiden sich die Auswirkungen der Unternehmensdynamik auf die Produktivität etablierter Unternehmen nach Einführung von Technologien als auch nach Branchen. Triebkraft für die Produktivität von Hightech-Unternehmen ist die Verdrängung ausscheidender Unternehmen. Strukturelle Veränderungen durch zusätzliche Unternehmensdynamik hingegen, die über eine reine Verdrängung von Unternehmen hinausgehen, wirken sich nicht wesentlich auf die Produktivität etablierter Unternehmen aus. „In Hochtechnologiesektoren sind geistige Eigentumsrechte und FuE-Kapazitäten die wichtigsten Triebkräfte des Wettbewerbs. Innovative Technologien stellen eine Herausforderung für bestehenden Technologien dar und führen dazu, dass weniger innovative Unternehmen aus dem Markt ausscheiden und Platz für technologisch fortschrittlichere Unternehmen schaffen“, erläutert Dr. Johannes Bersch, Wissenschaftler am ZEW Mannheim und Ko-Autor der Studie, die Ergebnisse.
Mit Blick auf Unternehmen im Niedrigtechnologiesektor, also ohne große Forschungs- und Entwicklungsausgaben, zeigt sich ein anderes Bild. Ein hoher Unternehmensumschlag löst hier die höchsten Produktivitätssteigerungen bei etablierten Unternehmen aus. Und zwar nicht durch einen Verdrängungs- und Ersetzungswettbewerb um geistige Eigentumsrechte, durch hohe Forschungs- und Entwicklungsausgaben und Spitzentechnologien wie im Hightech-Bereich, sondern eher durch Technologieadaption. „Die Übernahme von Technologien in Niedrigtechnologiesektoren führt zu einem stärkeren Wettbewerb, da mehr Unternehmen auch ohne geistige Eigentumsrechte und FuE-Ressourcen am Marktwettbewerb teilnehmen können“, sagt ZEW-Wissenschaftlerin und Studienautorin Nadine Hahn. Die Produktivitätsdynamik wird also nicht durch die bloße Verdrängung von Unternehmen angetrieben, sondern dadurch, dass mehr Unternehmen als in Hochtechnologiesektoren in den Markt eintreten (und später wieder austreten). Das führt letztlich zu Schwankungen im Unternehmensbestand, die schließlich die Produktivitätsdynamik antreiben.
Die Entrepreneurship-Politik in Deutschland fokussierte sich in den vergangenen Jahren sehr stark auf den Hightech-Bereich. Die Studienautoren plädieren daher, Rahmenbedingungen und Anreize für Gründungen in der Breite zu schaffen – und nicht nur im Hightech-Bereich. Das reicht vom Senken der Markteintrittsbarrieren durch Bürokratieabbau über eine stärkere Förderung von Unternehmen mit niedrigem Technologiestandard bis hin zu mehr Unterstützung bisher wenig gründungsfreudiger Bevölkerungsgruppen.