Keine Ausnahme vom Wettbewerb
StandpunktEs ist amtlich: EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager hat die geplante Fusion von Siemens und Alstom untersagt. Und dies trotz des massiven Drucks, der von den beteiligten Akteuren und der Politik auf sie ausgeübt wurde. Chapeau.
Siemens und Alstom wollten ihre Bahnsparten zusammenlegen, wodurch ein europäischer Konzern mit 62.000 Mitarbeitern und einem Jahresumsatz von mehr als 15 Milliarden Euro entstanden wäre. Ein Grund für die geplante Fusion ist die starke Konkurrenz aus China. Der chinesische Weltmarktführer CRRC hat mit rund 30 Milliarden Euro einen doppelt so hohen Umsatz. Mit der Fusion sollte ein Gegengewicht gegen diesen chinesischen Konkurrenten geschaffen werden.
Hat die Kommissarin also „technisch recht …, aber für Europa doch alles falsch“ gemacht, wie Joe Kaeser, der Vorstandsvorsitzende von Siemens twitterte? Die nationalen Politiker scheinen dies so zu sehen. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier und der französische Finanzminister Bruno Le Maire haben sich beide mehrfach im Sinne der Schaffung eines europäischen Champions für die geplante Fusion ausgesprochen.
Hätte das Fusionskontrollverfahren in Deutschland stattgefunden, hätte man diese industriepolitischen Erwägungen von den wettbewerbspolitischen Aspekten auch prozedural trennen können. Das Bundeskartellamt bewertet zunächst die wettbewerblichen Implikationen einer geplanten Fusion. Wenn, wie bei Siemens mit Alstom auf europäischer Ebene, der Zusammenschluss untersagt wird, dann steht den Fusionspartnern in Deutschland der Weg über die Ministererlaubnis offen, der seit 1973 insgesamt 22 Mal beschritten wurde. Auf Antrag von mindestens einem der beteiligten Unternehmen entscheidet dann der Wirtschaftsminister über die Fusion. Dabei sollen Gemeinwohleffekte berücksichtigt werden, die möglicherweise von der Fusion ausgehen, und die gegen die wettbewerblichen Effekte abgewogen werden.
Siemens und Alstom sind bereits wichtige Akteure auf dem Weltmarkt
Die Fusion Edeka/Tengelmann war so ein Fall, bei dem der frühere Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel den Zusammenschluss trotz einer Untersagung durch das Bundeskartellamt und einem negativem Votum der Monopolkommission zugelassen hat. Insgesamt führten bisher neun der 22 Anträge dazu, dass der Zusammenschluss entgegen der Untersagung des Bundeskartellamts zum Teil mit Auflagen freigegeben wurde. In Brüssel gibt es aber kein Pendant zur Ministererlaubnis. Allerdings entscheidet hier auch nicht eine nachgeordnete Behörde, sondern die EU-Kommission über das Verfahren.
Die geringe Anzahl der aus Sicht der Antragsteller erfolgreichen Ministererlaubnisverfahren, die selbst häufig umstritten waren, zeigt, dass es selten der Fall ist, dass andere Gründe als die wettbewerblichen dominieren. Auch im Fall Siemens/Alstom überzeugen die vorgebrachten industriepolitischen Argumente nicht. Zunächst erscheint fraglich, ob überhaupt ein „Champion“ neu entstehen würde. Frau Vestager zumindest geht davon aus, dass sowohl Siemens als auch Alstom bereits wichtige Akteure auf dem Weltmarkt sind und dort auch unabhängig voneinander im Wettbewerb bestehen können.
Darüber hinaus ist grundsätzlich schwer nachvollziehbar, warum ein europäischer Champion auf Kosten der europäischen Verbraucher, also der Bahnunternehmen und letztlich der Bahnnutzer, entstehen soll. Denn dass eine Fusion der beiden wichtigsten Wettbewerber in Europa zu höheren Preisen auf den Märkten für Bahntechnik führen würde, ist nicht auszuschließen. Genau das aber ist das Bedenken der europäischen Wettbewerbsbehörde. Offensichtlich ist der Wettbewerbsdruck, den der chinesische Konzern CRRC ausübt oder zukünftig ausüben wird, in Europa zu gering, um die EU-Behörden dazu zu bewegen, die Fusion zu bewilligen.
Deutschland und Europa sind gut damit gefahren, den Wettbewerb und nicht die Unternehmen zu schützen sowie konsequent auf die Innovations- und Wohlfahrtskräfte von Unternehmen, die im Wettbewerb stehen, zu vertrauen. Es ist gut, dass bei Siemens/Alstom keine Ausnahme davon gemacht wurde.
Dieser Beitrag ist zuerst in längerer Fassung am 6. Februar 2019 im „Handelsblatt“ erschienen.