Trotz der erschreckenden Nachrichten und Bilder aus Japan ist Kassandra eine schlechte Ratgeberin. Erforderlich ist vielmehr eine erneute Bewertung der Atomenergie, die zumindest die beiden folgenden Fragen klären muss: Welche Lehren sind aus der Katastrophe in Japan im Hinblick auf die Sicherheitslage hiesiger Kernkraftwerke zu ziehen? Welche Alternativen stehen uns zur Verfügung und wie sind diese unter technischen und ökonomischen Gesichtspunkten zu bewerten?

Nach derzeitigem Informationsstand lagen die Ursachen des GAU im Kernkraftwerk Fukushima nicht an dem Erdbeben, sondern in erster Linie am Ausmaß des Tsunamis und möglicherweise an letztlich unzureichenden Sicherheitsredundanzen dieses Meilers. Zwar gehört das jüngste Erdbeben in Japan mit einer Magnitude von 9,0 zu den sieben größten in den vergangenen drei Jahrhunderten – das schrecklichste mit einem Wert von 9,5 fand 1960 in Chile statt – , aber die automatische Reaktorschnellabschaltung und der Einsatz der Notstromversorgung auf Grund des erdbebenbedingten Zusammenbruchs der externen Stromversorgung haben funktioniert. Es war die ungeheure Wucht des Tsunamis, die zum Ausfall der Notstromdiesel und damit der Nachkühlung führte. Die Möglichkeit eines Tsunamis als solchem war seinerzeit in Japan durchaus ins Kalkül gezogen worden, allerdings nicht mit der aktuellen Wellenhöhe. Soweit bekannt, besaß Fukushima nur ein einziges Notstromdieselnetz und die Batterieversorgung als zweite Sicherheitsredundanz war unzureichend ausgelegt. Das stärkste Erdbeben in Deutschland seit hundert Jahren fand mit 5,6 im Jahr 1911 auf der schwäbischen Alb statt, ein Tsunami kann für Deutschland ausgeschlossen werden. Wenn es mithin um mögliche Lehren aus der Katastrophe in Fukushima geht, stehen folgende Sachverhalte im Mittelpunkt. Welcher Wucht eines Erdbebens halten die Kernkraftwerke hierzulande stand? Über welche Sicherheitsredundanzen bei Ausfall der externen Stromversorgung verfügen unsere Kernkraftwerke? Wie kann ein Ausfall der Kühlung durch Hacker- und Terrorangriffe, Hochwasser und extremes Niedrigwasser verhindert werden? Der nächste Schritt muss dann ein Diskurs darüber sein, inwieweit die Bevölkerung bereit ist, verbleibende Sicherheitsrisiken zu akzeptieren und zwar unter Beachtung ihrer Schwere. Denn es besagt zu wenig, dass ein bestimmtes Ereignis in hunderttausend Jahren maximal einmal vorkommt – das kann morgen sein. Zu berücksichtigen ist ferner die bislang ungelöste Entsorgung des radioaktiven Mülls, vielleicht das gravierendste Problem. Zur Entscheidungsfindung gehört des Weiteren die Bewertung von Alternativen und zwar vor dem Hintergrund, dass sich andere Länder, wie etwa Frankreich, kaum von Deutschland über ihren energiepolitischen Kurs werden belehren lassen. Viel gewonnen wäre bereits mit EU-weiten Mindestsicherheitsstandards auf akzeptablem Niveau. Zwar dürfte die derzeitige Abschaltung der sieben Atommeiler gerade noch nicht kritisch sein, jedoch wird Deutschland nicht umhin kommen, Strom (aus französischen Kernkraftwerken) zu importieren. Damit ändert sich trotz Abschaltung nichts an den Sicherheitsrisiken, jedoch dürften die Strompreise steigen, von der Versorgungsabhängigkeit Deutschlands erst gar nicht zu reden. Ohnehin machte ein rascher Ausstieg aus der Kernenergie eigentlich einen starken Zubau an fossilen Kraftwerken notwendig, für den es kaum eine Akzeptanz in den betreffenden Regionen geben dürfte. Der mittelfristig geplante Übergang zu erneuerbaren Energien sieht sich neben höheren Kosten – sie steigen, weil die Erlöse aus der Verlängerung der Restlaufzeiten sinken – vor allem mit einer möglichen Netzinstabilität konfrontiert, insbesondere was die Nord-/Südachse der Stromversorgung anbelangt. Des Weiteren fehlt es hinsichtlich der Solarenergie Deutschland an ausreichendem Sonnenschein und einem Standort in Nordafrika mangelt es an politischer Stabilität. Der Wind ist hierzulande sehr unstet, Windräder verschandeln die Landschaft und ihre Errichtung im Meer ist sehr teuer. Die Alternativen haben mithin erhebliche Tücken. Meine persönliche Meinung? Für die nächsten zwei oder drei Jahrzehnte werden wir mit der Kernenergie angesichts ihrer Vorteile und trotz der Risiken leben müssen, wenngleich mit ziemlich mulmigem Gefühl. Wie wäre es mit einem sparsameren Umgang mit Strom?

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Wolfgang Franz
Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Wolfgang Franz
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