Nudging ist kein Ersatz für klassische wirtschaftspolitische Instrumente

Nachgefragt

Nachgefragt bei ZEW-Ökonom Zareh Asatryan

ZEW-Forscher Dr. Zareh Asatryan untersucht in einer Studie die Wirksamkeit von Nudging als wirtschaftspolitisches Instrument.

Zunehmend setzt die Politik darauf, das Verhalten von Bürgern/-innen positiv zu beeinflussen, ohne dafür auf Gebote, Verbote oder klassische ökonomische Anreize zurückzugreifen – mit einem Wort: Nudging. Der Begriff geht zurück auf den Titel des 2008 von Richard Thaler und Cass Sunstein veröffentlichten Buchs zu diesem Thema. Nudging-Methoden werden etwa angewendet, um die individuelle Bereitschaft zum Zahlen von Steuern zu erhöhen. Doch wie wirksam sind diese Maßnahmen tatsächlich?

Dr. Zareh Asatryan, stellvertretender Leiter des ZEW-Forschungsbereichs „Unternehmensbesteuerung und Öffentliche Finanzwirtschaft“, spricht im Interview über seine aktuellen Forschungsergebnisse dazu.

In welchen Bereichen hat die Politik in den vergangenen Jahren bereits Nudging-Verfahren angewendet?

Nudging ist in den letzten zehn Jahren äußerst populär geworden, beispielsweise um gesündere Ernährungsgewohnheiten zu fördern, schulische Leistung von Kindern zu verbessern, Emissionen zu verringern oder das Sparverhalten anzukurbeln. So kann unter anderem eine automatische Renteneinzahlung jüngeren Menschen dabei helfen, fürs Alter zu sparen. Gezielte Erinnerungsbriefe von Gesundheitsbehörden hingegen können dazu beitragen, dass gesundheitliche Vorsorgeuntersuchungen in größerem Umfang wahrgenommen werden. Laut OECD wurden in lokalen, nationalen und supranationalen Institutionen weltweit mehr als zweihundert Einheiten eingerichtet, die sich mit der Konzeption und Umsetzung von Nudging-Methoden beschäftigen. Einige der bekanntesten sind wohl das Behavioural Insights Team (BIT) der britischen Regierung oder die Mind, Behavior, and Development-Einheit (eMBeD) der Weltbank.

In Ihrer aktuellen Metaanalyse beschäftigen Sie sich mit dem Thema Nudging im Bereich Tax Compliance.

Was sind die wichtigsten Erkenntnisse daraus?

Nudging-Methoden finden in der Besteuerung breite Anwendung. Diesen liegt die zentrale Annahme zugrunde, dass Steuerzahler ihrer Steuerpflicht auch aus moralischen Gründe nachkommen. Nudging zielt somit darauf ab, dass Individuen ihren Pflichten freiwillig nachkommen, indem an das moralische Bewusstsein der Betroffenen appelliert wird. Zwei Beispiele hierfür sind der Verweis auf die Ungerechtigkeit, die sich aus der Nichteinhaltung der eigenen Steuerpflicht für andere ergibt, da weniger öffentliche Güter zur Verfügung gestellt werden können, und der Verweis auf die Einhaltung gesellschaftlicher Normen – zum Beispiel mithilfe des Hinweises, dass fast jeder rechtzeitig seine Steuern zahlt.


Unsere Metaanalyse bietet einen quantitativen Überblick über die geschätzte Auswirkung von etwa vierzig Nudging-Maßnahmen, die hauptsächlich in Ländern Nord- und Südamerikas sowie Europas durchgeführt wurden. Dabei hat sich gezeigt, dass Nudging-Maßnahmen, die nicht zur Abschreckung dienen und nur an das moralische Bewusstsein appellieren, sich im Durchschnitt als unwirksam zur Eindämmung von Steuer­hinterziehung erwiesen haben. Nudging-Maßnahmen, die zur Abschreckung dienen, indem sie beispielsweise auf klassische Compliance-Instrumente wie die Möglichkeit eines Audits oder Strafzinsen verweisen, beschleunigen die Tax-Compliance zwar; dieser Effekt ist jedoch sehr gering und nur von kurzer Dauer.

Sollte die Politik angesichts dieser Ergebnisse auf Nudging-Methoden verzichten?

Nudging wird die Welt nicht verändern, zumindest nicht die Steuerwelt. Das bedeutet nicht, dass die Politik in Zukunft auf Nudging-Methoden verzichten sollte. Natürlich sind manche „Nudges“ wirksamer als andere. Wichtig dabei ist jedoch, dass diese Maßnahmen nur mit sehr geringen Kosten verbunden sind. Einen Informationsbrief zu versenden oder ein Steuerformular zu vereinfachen kann sich lohnen, wenn es dazu beiträgt, die Einhaltung der Steuerpflicht ein wenig zu erhöhen.


Man muss beachten, dass Nudging kein Ersatz ist für klassische wirtschaftspolitische Instrumente wie Steuern, Subventionen und andere Regelungen, die aufgrund wirtschaftlicher Anreize eine Verhaltensänderung bewirken. Nudging-Maßnahmen sind für die Politik häufig greifbarer, da sie im Gegensatz zu forschungsbasierten Maßnahmen keine Auseinandersetzung mit komplexen Prozessen erfordern. Neben dem geringen Kostenfaktor hat Nudging für die Politik noch einen weiteren Vorteil: Die Regierung signalisiert damit den Wählern/-innen, dass sie Vertrauen in deren korrektes Verhalten setzt. Gleichzeitig könnten Nudging-Maßnahmen so Bemühungen für echte wirtschaftspolitische Reformen behindern. Die Euphorie der Politik für den Einsatz von Nudging-Methoden birgt somit also auch Gefahren.

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