„Nutzen statt Abregeln“ kann regionale Preise nicht ersetzen
StandpunktVon Marion Ott und ZEW-Präsident Achim Wambach
Die Regierung überlegt, den Strom aus Wind- und Solaranlagen, wenn diese in Zeiten von Netzengpässen abgeschaltet werden müssen, stattdessen zu reduzierten Preisen an lokale Verbraucher zu geben. Besser wäre es, deutschlandweit auf regionale Strompreise zu setzen, um die Ineffizienzen von „Nutzen statt Abregeln“ zu vermeiden, meinen Marion Ott und Achim Wambach vom ZEW in ihrem Standpunkt.
Mit dem Ausbau erneuerbarer Energien ändern sich räumliche und zeitliche Muster der Erzeugung von Strom. Dies macht einen Ausbau der Stromnetze, aber auch eine optimierte Nutzung der vorhandenen Netze notwendig. Soweit ist Deutschland aber noch nicht, weshalb Netzengpässe an der Tagesordnung sind. Das hat problematische Auswirkungen.
Da der Strommarktpreis überall in Deutschland einheitlich ist, kann es vorkommen, dass Strom aus Windkraftanlagen im Norden Deutschlands in den Süden verkauft wird, aber dann nicht dorthin gelangen kann, da das Stromnetz dafür nicht ausreicht. Dann müssen die Übertragungsnetzbetreiber eingreifen und im typischen Fall Stromerzeuger im Süden hochfahren und Erneuerbare-Energien-Anlagen im Norden abregeln, das heißt abstellen.
Das ist nicht nur teuer, sondern auch ineffizient. Verbraucher im Süden haben vermeintlich den billigen Strom aus dem Norden gekauft, werden aber aus teureren und in der Regel klimaschädlicheren Kraftwerken im Süden bedient. Die Kosten dafür bleiben bei allen Stromnutzern hängen. Im Jahr 2022 entstanden durch dieses „Engpassmanagement“ Kosten von über vier Milliarden Euro. Es ist davon auszugehen, dass diese weiter steigen werden.
Das neue Instrument setzt nicht am Problemkern an
Der Bundestag hat nun im Gesetzgebungsverfahren vorgesehen, das neue Instrument „Nutzen statt Abregeln“ im Strommarkt einzusetzen. Ziel ist es, den aus Netzengpässen resultierenden Überschuss an Grünstrom sinnvoll zu nutzen. Anstatt dass der Netzbetreiber die Windkraftanlage im Norden abregelt, versteigert er den überschüssigen Strom an regionale Nutzer. Da der Stromverbrauch regional erfolgt, wird das Netz nicht zusätzlich belastet. Da dieser Strom an Nutzer geht, die ansonsten keinen oder weniger Strom gekauft hätten, wird der Preis, den diese Nutzer zahlen, unter dem Marktpreis liegen. Der Strompreis wird dadurch regionalisiert.
Dieses Verfahren birgt aber eine Reihe an Problemen, und es setzt nicht am Kern der zugrundeliegenden Problematik, den Netzengpässen, an.
Die regionalen Nutzer werden bei einer solchen Regulierung zumindest teilweise darauf spekulieren, billigen Strom zu bekommen, und deshalb nicht oder weniger am allgemeinen Strommarkt teilnehmen. Das würde aber paradoxerweise Netzengpässe wahrscheinlicher machen, da diese Kunden als Käufer im herkömmlichen Markt wegfallen und damit mehr kostengünstig erzeugter Strom aus Erneuerbaren Energien in den Süden verkauft wird. Wenn diese Kunden außerdem (regionale) Marktmacht haben, können sie Netzengpässe sogar bewusst herbeiführen. Um dies zu vermeiden, soll laut dem Gesetzesentwurf nur ein eingeschränkter Kreis an Käufern diesen Strom erwerben dürfen, nämlich solche die diesen Strom ohne das Instrument voraussichtlich nicht gekauft hätten. Zum Beispiel sind dabei neue und flexible Abnehmer in der Wärme- oder Wasserstofferzeugung in der Überschussregion im Blick. Sie müssen sich über ein umfangreiches Verfahren qualifizieren. Die Identifikation dieser „Zusätzlichkeit“ der Nachfrage stellt eine Herausforderung für das Instrument dar, die seine Wirkung einschränken kann.
Hinzu kommt, dass auch wenn der überschüssige Strom im Norden regional versteigert wird, weiterhin teurere und klimaschädlichere Kraftwerke südlich des Netzengpasses den Strom im Süden bereitstellen müssen.
Preise überall regionalisieren ist konsequenter
Um dieses Problem anzugehen, sollte stattdessen überall der Strommarktpreis regionalisiert werden. Im Süden würde der Strom dann zum Teil teurer, was wiederum Anreize etwa für Windkraftanlagenbetreiber setzen würde, dort Anlagen zu bauen, oder für energieintensive Unternehmen, sich im Norden anzusiedeln. Das Konzept der regionalen Preise, auch Knotenpreise genannt, wird bereits in vielen Ländern erfolgreich angewendet.
Das Instrument „Nutzen statt Abregeln“ kann möglicherweise helfen, überschüssigen Grünstrom sinnvoll zu nutzen und bestimmte Marktteilnehmer zu fördern. Den Problemen möglicher Fehlanreize und des Missbrauchs muss jedoch eine hochkomplexe Detailregelung entgegengestellt werden.
Vor allem aber: Ein System mit regionaler Preisdifferenzierung nicht nur am Ort des Abregelns, sondern deutschlandweit, kann das Instrument nicht ersetzen. Ein solches System würde tatsächliche Knappheiten aufzeigen und das Verhalten von Verbrauchern und Erzeugern gezielt beeinflussen. Die Diskussion um regionale Strompreise hat mit den Überlegungen zu „Nutzen statt Abregeln“ an Dynamik gewonnen. Sie sollte konsequent weitergedacht werden.
Dieser Standpunkt erschien zuerst als Gastbeitrag im Tagesspiegel Background [€]