Schließungen alleine reichen für eine erfolgreiche Krisenpolitik nicht aus

Standpunkt

Standpunkt von ZEW-Präsident Achim Wambach

Prof. Achim Wambach über Erfolgsfaktoren der Krisenpolitik im Zusammenhang mit der Pandemie.

Vor einem Jahr hat sich der erste Patient in Wuhan mit dem Corona-Virus angesteckt. Mittlerweile sind weltweit über 65 Millionen Menschen mit dem Virus infiziert, etwa 1,5 Millionen sind im Zusammenhang mit dem Virus verstorben, und die Weltwirtschaft erlebt den größten Einbruch seit Kriegsende.

Die moderne Gesellschaft hat mit ihren vielfältigen Verflechtungen zwischen Menschen, Unternehmen und Staaten einen hohen Komplexitätsgrad erreicht. Das Corona-Virus hat dieses Geflecht in unerwartete und ungewünschte Richtungen gezerrt. Seit Beginn der Krise wird weltweit versucht, die Virusausbreitung möglichst gering zu halten, ohne dabei die Bildungschancen der Schülerinnen und Schüler übermäßig zu schmälern und die Wirtschaft zu sehr einzuschränken. Den richtigen Mix an Maßnahmen zu finden ist eine Kunst. Dabei schneidet die Bundesrepublik im europäischen Vergleich bislang recht gut ab.

Wenn man als Maß für die Schwere der Pandemie die Anzahl der Todesfälle im Zusammenhang mit Covid-19 betrachtet, so ist Deutschland zum Zeitpunkt dieses Beitrags mit unter 250 Todesfällen pro eine Million Einwohner im Vergleich zu anderen EU-Staaten mit über 600 Todesfällen pro eine Million Einwohner weit weniger stark betroffen. Gleichzeitig ist der erwartete BIP-Einbruch 2020 mit 5,1 Prozent geringer als der im Euro-Raum mit 7,0 Prozent.

Für diese Ergebnisse sind nicht allein die Politikmaßnahmen verantwortlich. So sind etwa Länder mit einem höheren Tourismusanteil an der Volkswirtschaft wie Italien und Spanien wirtschaftlich stärker betroffen. Und ein wichtiger Faktor, der zur Eindämmung des Virus beiträgt, ist das Sozialkapital einer Region. Sozialkapital beschreibt die Bereitschaft der Menschen, kollektiv zu handeln und sich mit ihrem individuellen Verhalten für die Gemeinschaft einzusetzen. Maßgrößen für die Höhe des Sozialkapitals sind etwa die Beteiligung bei regionalen Wahlen oder der Anteil der Bevölkerung, der regelmäßig Blut spendet. ZEW-Forscher haben den Zusammenhang zwischen Sozialkapital und Ausbreitung des Virus untersucht. Covid-19 breitete sich in Italien, Deutschland und Großbritannien in Regionen mit einem höheren Sozialkapital signifikant langsamer aus als in solchen mit geringerem Sozialkapital. Studien für die USA kommen zu einem ähnlichen Ergebnis.

Das Vertrauen in die Politik spielt dabei eine wichtige Rolle. So konnte mithilfe von Mobilfunk-Bewegungsdaten beobachtet werden, dass in Regionen, in denen das Vertrauen in die Politik höher ist, ein stärkerer Rückgang der Mobilität stattfand. Insofern ist es sowohl eine Konsequenz des Erfolgs als auch konstitutiv für sein Zustandekommen,dass seit März die Zustimmung zum Corona-Krisenmanagement der Politik in Deutschland überwiegend zwischen 60 und 70 Prozent liegt, allerdings mit abnehmender Tendenz. Vergleichbare Größen in Frankreich und Großbritannien liegen bei unter 40 Prozent. Bei der Bekämpfung der Virus-Ausbreitung steht Deutschland in den Wintermonaten vor schwierigen Entscheidungen.

Der Erfolg der Krisenpolitik hängt auch von Faktoren ab, die die Politik nicht anordnen kann. Die Effektivität von Maßnahmen wird durch die Menschen vor Ort bestimmt, und sie sind umso erfolgreicher, je höher das Sozialkapital ist und je mehr der Politik vertraut wird. Hierauf können Regierungen von Bund und Ländern noch mehr Einfluss nehmen, etwa indem sie klarer kommunizieren, nach welchen Kriterien Einschränkungen getroffen werden.

Dieser Beitrag ist in einer längeren Version am 16.12.2020 im „Tagesspiegel“ erschienen.