Warum es rational sein kann, einen teuren Gasanbieter zu wählen
StandpunktStandpunkt des ZEW-Präsidenten Achim Wambach, mit Atabek Atayev und Adrian Hillenbrand
Bei den komplizierten Details der Gaspreisbremse kann auch ein Bundeskanzler schon mal den Überblick verlieren. Aus dem seit März greifenden Regelwerk leitete Olaf Scholz jüngst ab, dass Haushalte „nicht mehr als zwölf Cent pro Kilowattstunde bezahlen“ müssten. Das aber ist nicht richtig. Die Bremse funktioniert so, dass Haushalte eine Zahlung in Höhe von 80 Prozent des Vorjahresverbrauchs an Heizgas multipliziert mit dem aktuellen Gaspreis des Kunden abzüglich zwölf Cent erhalten, und zwar unabhängig vom aktuellen Verbrauch. Jede heute verbrauchte Kilowattstunde muss gemäß dem aktuellen Tarif bezahlt werden.
Die Gaspreisbremse basiert auf einem Vorschlag der Expertenkommission Gas und Wärme. Die Konstruktion bietet einen Anreiz zum Energiesparen, da jede reduzierte Gaseinheit den vollen Preis einspart – doch sie hat zugleich unerwünschte Nebenwirkungen.
Insbesondere ist der Anreiz, zu einem günstigeren Anbieter zu wechseln, dadurch stark reduziert. Da die Zahlung vom Bund vom aktuellen Vertragspreis der Kunden abhängt, ist die Staatshilfe umso umfangreicher, je höher der Preis ausfällt. Das ist besonders attraktiv für jene Haushalte, die weniger als 80 Prozent ihres Vorjahresverbrauchs benötigen. Sie bekommen den Transfer berechnet mit den 80 Prozent, zahlen aber nur für den aktuellen Verbrauch. Dann kann es sogar rational sein, einen möglichst teuren Gasanbieter zu wählen. Ähnlich ist die Lage bei der Strompreisbremse, die bei 40 Cent pro Kilowattstunde liegt.
Wettbewerbsdruck entsteht in einem Markt dann, wenn Konsumenten bei schlechter Leistung oder hohen Preisen den Anbieter wechseln. Ist diese Bereitschaft nicht oder nur unzureichend vorhanden, verspüren die Unternehmen weniger Druck, ihre Preise zu senken. So wie offenkundig in Deutschland: Im vergangenen Jahr, so berichtet die Verbraucherzentrale, sei „der Anbieterwechsel zum Erliegen gekommen“. Erst seit Kurzem sind wieder mehr Wechsel zu verzeichnen.
Aktuell liegen die Preise der Gasversorger für Bestandskunden oberhalb der besagten zwölf Cent. Damit werden die hohen Kosten aus langfristigen Verträgen zumindest teilweise weitergegeben. Die betroffenen Haushalte sind häufig langjährige Kunden mit geringer Wechselbereitschaft. Sie nehmen – auch angesichts von Such- und Transaktionskosten – höhere Preise hin, obwohl mittlerweile wieder viele günstigere Wettbewerber mit Preisen unterhalb der zwölf Cent in den Markt drängen.
Was also ist zu tun? Eine Möglichkeit, die Wechselbereitschaft zu erhöhen, liegt auf der Hand: das Anbieter-Hopping für die Strom- und Gaskunden einfacher zu machen. Der Präsident der Bundesnetzagentur, Klaus Müller, will zum Beispiel die Frist für einen Anbieterwechsel von zehn Tagen auf 24 Stunden reduzieren.
Dabei darf man freilich nicht vergessen, dass zur Wechselträgheit der Kunden auch schlechte Erfahrungen in der Vergangenheit beigetragen haben. Viele Verbraucher erinnern sich etwa noch gut daran, wie Gasdiscounter zum Jahreswechsel 2021/22 Tausenden von Haushalten unvermittelt die Kündigung ins Haus schickten. Mehr Transparenz und bessere Informationen über die Rechtslage könnten hier weiterhelfen. So steht Kunden nach einer Kündigung mittlerweile die Grundversorgung offen; sie rutschen nicht mehr zwangsläufig in die teure Ersatzversorgung. Zudem dürfen die Unternehmen in ihren Grundversorgungstarifen nicht mehr zwischen Bestands- und Neukunden unterscheiden.
Zusammen mit der Preisbremse hat die Politik eine Grenze für Wechselprämien von 50 Euro beschlossen. Diese soll verhindern, dass Anbieter mit hohen Boni neue Kunden anlocken und sich dann mit überhöhten Verbrauchspreisen oberhalb des Preisdeckels aus der Staatskasse bedienen. Hier gilt es nun, abzuwägen: Da die Preise für Neuverträge mittlerweile stark gesunken sind, könnte eine Freigabe der Prämien zu mehr Wettbewerb auf dem Strom- und Gasmarkt führen und damit zu niedrigeren Preisen.
Aber auch das Bundeskartellamt steht in der Pflicht. Es ist nicht nur ein Missbrauch von Marktmacht, Preise ungerechtfertigt zu erhöhen. Werden Preise missbräuchlich von Versorgern nicht gesenkt, obwohl es möglich wäre, so kann dies ebenfalls ein Fall für die Wettbewerbswächter sein. Im Dezember hat das Kartellamt denn auch mit dem organisatorischen Aufbau einer Abteilung zur Kontrolle des Missbrauchsverbots bei Gas-, Strom- und Fernwärmepreisbremsen begonnen. Das ist ein wichtiger Schritt, wenn auch Verstöße schwer nachzuweisen sein dürften.
Die bis zum 30. April 2024 geltende Energiepreisbremse hat viele Haushalte entlastet. Doch aus ihrer verwirrenden Konstruktion und den unerwünschten Nebenwirkungen sollten wir für die Zukunft unsere Lehren ziehen.