Wie der Draghi-Bericht Europas Wettbewerbsfähigkeit stärken kann

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ZEW-Experten/-innen diskutieren Draghis Diagnosen und Empfehlungen für die Wirtschaft der EU

Vier ZEW-Wissenschaftler/innen nehmen den Draghi-Bericht aus ihrer jeweiligen Fachperspektive unter die Lupe.

Die europäische Wirtschaft steht vor großen Herausforderungen. Der Anfang September von Mario Draghi vorgestellte Bericht analysiert die gegenwärtige wirtschaftliche Lage und weist auf dringende Handlungsfelder hin. Darin warnt der frühere EZB-Präsident vor einer „existenziellen Herausforderung“ für die europäische Wirtschaft. Über 170 Empfehlungen hat Draghi für den Wirtschaftsstandort Europa, unter anderem rät er zu Investitionen in Höhe von bis zu 800 Milliarden Euro jährlich, um die Wettbewerbsfähigkeit der EU gegenüber den USA und China zu erhöhen.

Aufzeichnung des Webinars bei YouTube (in englischer Sprache)

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Bei einer digitalen Podiumsdiskussion des ZEW Mannheim nahmen vier Wissenschaftler/innen den Bericht aus ihrer jeweiligen Fachperspektive unter die Lupe. Sie bewerteten, welche Aspekte im Report umsetzbar oder verbesserungsfähig sind. Die Diskussion stellte die Frage in den Raum: Ist Draghis Analyse zutreffend und gehen seine Handlungsempfehlungen in die richtige Richtung? Dabei standen besonders die Themenfelder Sicherheit, Innovationen, Dekarbonisierung und Industriepolitik sowie Fiskalpolitik im Fokus.

Das gesamte Podiumsgespräch ist als Video hier verfügbar.

Mehr Sicherheit und weniger Abhängigkeiten

ZEW-Präsident Achim Wambach eröffnete die Veranstaltung und betonte, dass Draghis Bericht eine treffende und nüchterne Zustandsbeschreibung sei. Dass Draghi dabei Ausgaben und Koordinierung für die Sicherheit anmahne, sei gut. Diese Bestrebungen böten der EU einen klaren Nutzen. Sicherheit sei auch bei Lieferketten wichtig. Sie müssten von externen Störungen möglichst unabhängig, also resilient sein. Während Draghi sich hier allerdings eher auf fertige Produkte am Ende der Lieferkette fokussiere, empfahl Wambach, am Beginn der Lieferketten anzusetzen, denn Unterbrechungen schlügen sich auf die gesamte Kette nieder. Wambach betonte auch, dass Sicherheit nicht nur ein Wirtschaftsthema sei: Beispielsweise könnten (Elektro-) Autos mit einer Vielzahl von Sensoren und Kameras ausgestattet werden, die sicherheitsrelevante Daten an andere Stellen übermitteln. Die EU habe daher noch große Fragestellungen vor sich.

Die Innovationslücke mit China und USA schließen

Irene Bertschek, Leiterin des Forschungsbereichs „Digitale Ökonomie“, beleuchtete die innovationspolitischen Empfehlungen. Sie stimmte Draghi zu, dass die bestehende Innovationslücke  zwischen EU und USA zu einem beträchtlichen Teil auf die schwache Position Europas im Bereich digitaler Technologien zurückzuführen sei. Um hier gerade vor dem Hintergrund der rasanten Entwicklungen im Bereich Künstlicher Intelligenz den Anschluss nicht zu verlieren, sei es wichtig, dass die EU investiert und kooperiert. Dabei gelte es den Zugang zu digitalen Technologien ohne einseitige Abhängigkeiten sowie die Kompetenzen zur Anwendung der Technologien und deren Weiterentwicklung zu sichern. Ebenso entscheidend für die Förderung von Forschung und Innovation seien die Verbesserung des Datenzugangs und die unbürokratische Umsetzung der KI-Verordnung in Kohärenz mit anderen Regelwerken wie der DSGVO.

Dekarbonisierung und Wettbewerbsfähigkeit gehen Hand in Hand

Sebastian Rausch, Leiter des Forschungsbereichs „Klima- und Umweltökonomik“, stellte die Dekarbonisierung als Wachstumschance zur Steigerung der langfristigen Wettbewerbsfähigkeit in Europa heraus. Die EU sei insgesamt Innovationsführer bei sauberen Technologien, allerdings habe sie Probleme, diese Technologien auf größere Maßstäbe zu skalieren. Draghis Bericht biete richtige Ansätze zur Senkung der Energiekosten und zur beschleunigten Dekarbonisierung. Im Fokus stehe ein koordinierter EU-Ansatz zur Unterstützung energieintensiver Industrien und sauberer Technologien, der die Notwendigkeit harmonisierter Förderinstrumente und Finanzierungsmechanismen betone, um gleiche Wettbewerbsbedingungen im Binnenmarkt zu gewährleisten. Zu kurz greife der Bericht bei drängenden Fragen der marktbasierten, EU-weiten Koordinierung von Investititionen in Erneuerbare Energien sowie der Ausgestaltung der europäischen CO2-Bepreisung nach 2030.

Finanzbedarf für Innovationen

Friedrich Heinemann, Leiter des Forschungsbereichs „Unternehmensbesteuerung und Öffentliche Finanzwirtschaft“, behandelte die fiskalpolitischen Aspekte des Reports. Er bewertete positiv, dass Draghi für eine Neustrukturierung des bestehenden EU-Budgets plädiere. Allerdings stellte Heinemann die Frage, wie effektiv die Gelder letztlich eingesetzt würden. In den vergangenen Jahrzehnten hätten sich bei den Investitionsprogrammen der EU-Kohäsionspolitik oft nur geringe Erfolge eingestellt. Der Bericht entwickle hier keine vielversprechenden Ideen für eine stärker erfolgsorientierte Steuerung des europäischen Haushalts. In Bezug auf die Idee neuer EU-Schulden zur Finanzierung der Draghi-Ideen verwies er auf die enttäuschend ungünstigen Finanzierungskonditionen der EU als Anleiheemittent. Das mache neue Schulden unattraktiv und für den europäischen Haushalt sehr teuer.

Weckruf für vorausschauende Weichenstellung

Wie sich in der Diskussion zeigte, ist der Bericht zwar eine zutreffende, nüchterne Zustandsbeschreibung der Gegenwart, die Empfehlungen des Berichts sind jedoch stellenweise nicht scharf genug oder lassen wichtige Werkzeuge außer Acht. Das Gespräch machte deutlich, dass Europas wirtschaftliche Zukunft von entschlossenen und gut durchdachten Maßnahmen abhängt. Der Draghi-Bericht liefert wichtige Anstöße, doch die Umsetzung erfordert eine enge Zusammenarbeit zwischen Politik, Wirtschaft und Wissenschaft. Klar ist: Europa muss handeln, um seine Wettbewerbsfähigkeit zu sichern.

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