Wie gelingt eine kosteneffiziente Dekarbonisierung der Industrie?
ForschungStudie von ZEW und Universität Mannheim gibt Hinweise für die Politik
Um die Pariser Klimaziele noch erreichen zu können, müssen laut Weltklimarat der Vereinten Nationen (IPCC) die weltweiten Treibhausgasemissionen stark sinken. Wenn Firmen bis zum Jahr 2050 das sogenannte „Netto Null“-Ziel erreichen wollen, werden sie, insbesondere im industriellen Umfeld, ihre Emissionen stark reduzieren und restliche Emissionen ausgleichen müssen. Eine aktuelle Studie von ZEW und Universität Mannheim führt vor diesem Hintergrund ein generisches Kostenkonzept ein, mit dem Firmen kosteneffiziente Kombinationen von technologischen und betrieblichen Veränderungen umsetzen können, um ihren Treibhausgasausstoß deutlich zu reduzieren. Die Vermeidungskostenkurven, die sich aus dem Konzept ergeben, können außerdem als Entscheidungshilfen für Managerinnen und Manager dienen, um die optimalen Reduktionsniveaus bei Umweltvorschriften (z.B. CO2-Bepreisung) zu bestimmen.
Umsetzung für die Zementindustrie
Die Untersuchung konzentriert sich in der Anwendung ihres ökonomischen Modells auf die Dekarbonisierung der Zementindustrie und zeigt Anreize auf, wie dort CO2 eingespart werden kann. So wird der Modellrahmen mit Daten aus europäischen Zementwerken kalibriert, die im Rahmen des europäischen Emissionshandelssystems Emissionsrechte erwerben müssen. Die Zementindustrie verursacht etwa acht Prozent des weltweiten CO2-Ausstoßes. Ein großer Teil ihrer Emissionen entsteht während des Produktionsprozesses und lässt sich nicht durch das Ersetzen von fossilen mit erneuerbaren Energieträgern vermeiden.
Die Analyse zeigt, dass je nach Preis der CO2-Zertifikate im europäischen Emissionshandel die Unternehmen unterschiedlich stark dazu angeregt werden, ihren CO2-Ausstoß zu verringern. Hierzu betrachten die Forschenden eine repräsentative Zementfabrik mit einer jährlichen Produktionskapazität von einer Million Tonnen Klinker und 832.000 Tonnen direkten CO2-Emissionen pro Jahr. Somit müsste das Unternehmen ohne Emissionsreduktionen jedes Jahr 832.000 Emissionszertifikate kaufen.
Investitionen zur Verringerung des CO2-Ausstoßes günstiger als Zertifikate
Wenn das Unternehmen erwartet, dass der Durchschnittspreis der Zertifikate auch in den kommenden Jahren bei 85 Euro je Tonne CO2 – dem durchschnittlichen Wert des Jahres 2023 – liegt, hat das Beispielunternehmen Anreize, seine direkten CO2-Emissionen im Vergleich zum heutigen Wert um ein Drittel zu senken. „Die jährlichen Kosten für die Zertifikate wären so hoch, dass es sich für das Unternehmen lohnen würde, stattdessen in Technologien zur Verringerung des CO2-Ausstoßes zu investieren“, sagt Autor Stefan Reichelstein, ZEW Research Associate und Professor an der Universität Mannheim. „Die Erwartung eines Preises von 141 Euro je Tonne CO2 böte sogar Anreize für eine nahezu vollständige Dekarbonisierung von mindestens 96 Prozent“, so Reichelstein.
Prozessverbesserungen, Einsatz anderer Rohstoffe, Technologien zur CO2-Abscheidung
Des Weiteren stellt die Studie Möglichkeiten vor, die zementproduzierende Unternehmen einzeln oder kombiniert nutzen können, um ihre CO2-Emissionen erheblich zu verringern. „Wir berücksichtigen neun verschiedene technisch ausgereifte Maßnahmen“, sagt Reichelstein, „diese umfassen Prozessverbesserungen und das Ersetzen von Rohstoffen durch andere Materialien, aber auch Technologien zur CO2-Abscheidung.“ So kann etwa bei der Klinkerherstellung Kalkstein zum Teil mit recyceltem Beton aus alten, abgerissenen Gebäuden ersetzt werden. Wird Klinker feiner gemahlen, wird seine Reaktivität erhöht und er kann bei der Weiterverarbeitung des Zements zu Beton teilweise durch Kalkstein ersetzt werden; auch Zusatzstoffe wie kalzinierte Tone senken den Klinkerbedarf pro Tonne Zement. Alternative Brennstoffe wie Biomasse können fossile Brennstoffe beim Heizen des Ofens ersetzen. Mit Calcium-Looping, Oxyfuel und Aminwäsche stehen verschiedene Technologien zur Abscheidung von CO2-Emissionen zur Verfügung.
Hintergrundinformationen zur Zementproduktion
In der Zementproduktion wird Kalkstein gemahlen, je nach Bedarf mit Gips, Schiefer, Ton oder Sand gemischt, und anschließend stark erhitzt, um so Zementklinker zu erhalten. Ist dieser Klinker abgekühlt, wird er zu Zement gemahlen. Während des Mahlvorgangs können Materialien wie beispielsweise Gips oder Flugasche beigemischt werden, damit der Zement bestimmte Eigenschaften erhält. Fast alle direkten CO2-Emissionen der Zementherstellung stammen aus der Umwandlung von Kalkstein in Klinker. Dabei resultieren etwa zwei Drittel der Emissionen aus der chemischen Trennung des Kalksteins. Das verbleibende Drittel der Emissionen entsteht bei der Verbrennung fossiler Brennstoffe – häufig Kohle – zum Beheizen des Ofens.