Wie transparent sind Europas Staatsschulden?
WorkshopZEW-Workshop zur Zukunft der Schuldenbremse
Die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten haben mit der Schaffung von schuldenfinanzierten Finanzinstrumenten reagiert, um Krisen und längerfristige Herausforderungen zu bewältigen. NextGenerationEU oder der Klima- und Transformationsfonds (KTF) sind prominente Beispiele. Nicht zuletzt durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Nachtragshaushalt 2021 stellt sich die Frage: Werden Schuldenregeln durch Bilanzkosmetik umgangen? Und wie lässt sich die fiskalische Transparenz verbessern?
Hierzu veranstaltete das ZEW Mannheim am 30. November 2023 einen ganztägigen Workshop mit Unterstützung der Strube Stiftung. „Die ökonomische und politische Stabilität in Europa ist unabdingbar mit der Fiskaltransparenz und nachhaltigen Staatsfinanzen verknüpft“, erklärte Dr. Dr. h.c. Jürgen Strube, geschäftsführender Gesellschafter der Strube Stiftung, zu Beginn.
Staatsfinanzen noch transparent?
Im ersten Panel ging der Abteilungsleiter Öffentliche Finanzen der Deutschen Bundesbank, Karsten Wendorff, der Frage nach, ob die deutschen Staatsfinanzen transparent genug seien. Aus seiner Sicht fehlt es unter anderem an ausreichenden Einblicken in den Zustand der Länderfinanzen. Ahmed Demir vom Bundesrechnungshof erläuterte in seinem Kurzvortrag, dass NextGenerationEU die Transparenz der europäischen Verschuldung einschränke. Auch ZEW-Forschungsbereichsleiter Friedrich Heinemann kritisierte NextGenerationEU als ein Programm, das das Ausmaß der tatsächlichen Verschuldung intransparent machen würde. Die Wirtschaftswoche-Journalistin Silke Wettach wechselte die Perspektive und beleuchtete die Interessen der Europäischen Kommission an den europäischen Verschuldungsinstrumenten.
Schuldenbremse noch sinnvoll?
Im zweiten Panel konzentrierte sich der Direktor des Instituts für Finanz- und Steuerrecht an der Universität Heidelberg, Hanno Kube, auf die Nutzung der Ausnahmeklauseln der Schuldenbremse während der Corona-Pandemie und der Energiekrise. Er legte dar, wie flexibel die Schuldenbremse konstruiert ist. Neben den Sondervermögen bestünden allerdings weitere Umgehungsgefahren bei den öffentlichen Unternehmen. Désirée Christofzik, Inhaberin des Lehrstuhls für Finanzwissenschaft an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer, ging auf die Notwendigkeit einer Verbesserung der Verschuldungsregeln für Kommunen ein. Sie warf die Frage auf, ob die derzeit geltenden Regelungen zur Finanzierung kommunaler Aufgaben ausreichen. Martin Mosler vom Institut für Schweizer Wirtschaftspolitik an der Universität Luzern stellte die Erfahrungen der Schweiz mit der Schuldenbremse vor. Er betonte, auf welch großem Konsens die Regel in der Schweiz beruhe und diese Akzeptanz die Wirksamkeit stütze. Aus Sicht der Medien ging die Journalistin Barbara Klauß von der Rhein-Neckar-Zeitung Heidelberg der Frage nach, inwieweit sich „normale Menschen“ für die Schuldenbremse interessieren. Sie betonte die Notwendigkeit, komplexe ökonomische Konzepte für die Öffentlichkeit verständlich zu machen.
Höhere Schulden für Zukunftsaufgaben?
Im dritten Panel ging der FAZ-Journalist Tobias Piller der Frage nach, ob NextGenerationEU einen Modernisierungsschub für Italien bedeuten könnte. Arash Molavi Vasséi vom Bundesministerium der Finanzen beleuchtete die Diskussion aus dessen Sicht. Er beleuchtete anhand wachstumsökonomischer Überlegungen, wie sehr Deutschland mit einem sinkenden Wachstumspotenzial und daher auch mit einem sich verringernden Verschuldungsspielraum konfrontiert ist. ZEW-Ökonom Albrecht Bohne stellte die Idee der „Zukunftsquote“ als neuen Indikator für den Bundeshaushalt vor. Diese Quote soll als Richtschnur dienen, um die öffentlichen Ausgaben auf langfristige Zukunftsaufgaben auszurichten und damit die Nachhaltigkeit des Haushalts zu fördern. Silke Übelmesser von der Universität Jena und Mitglied im Unabhängigen Beirat des Stabilitätsrats beleuchtete die Vor- und Nachteile der Verschuldung für Zukunftsinvestitionen sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene.
Warum nimmt der Staat gerne Schulden auf?
Das vierte und letzte Panel eröffnete der ehemalige Bundesverfassungsrichter Paul Kirchhof mit der Frage, ob Staatsverschuldung eine Gefahr für Demokratie und Rechtsstaat darstellen könne. Aus seiner Sicht berge eine übermäßige Staatsverschuldung große Risiken und beeinträchtige letztlich auch die Herrschaft des Rechts und den grundlegenden Generationenvertrag. Die Chefökonomin der WELT, Dorothea Siems, diskutierte, wie sich die Bewertung von Staatsschulden in Medien und Öffentlichkeit über die Jahrzehnte verändert hat. Schließlich konzentrierte sich der Leiter des ifo Zentrums für öffentliche Finanzen und politische Ökonomie Niklas Potrafke auf die politische Ökonomie der Staatsverschuldung. Er analysierte die ökonomischen und politischen Anreize hinter der Staatsverschuldung und zeigte auf, warum Regierungen einen besonders starken Anreiz haben, Schulden zu machen.
Zum Ende des Workshops zogen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer gemeinsame Bilanz. In den Diskussionen des Tages zeigte sich, dass die fiskalische Transparenz in vielen Facetten weiter ausbaufähig ist und gefördert werden sollte. Auch wenn Überlegungen zur Reform der Schuldenbremse sinnvoll sind, bleibt diese Fiskalregel im Grundsatz ein wichtiges Instrument, das zur Stärkung der Zukunftsorientierung in der deutschen Finanzpolitik beiträgt.