Wie (un-)sicher ist die Rente in Deutschland? - "Ein steuerfinanziertes Modell könnte das Rentensystem tragfähig machen"

Nachgefragt

Fast jedem zweiten Bundesbürger, der nach 2030 in Rente geht, droht eine Altersversorgung unterhalb der Armutsgrenze. Bei einer steigenden Lebenserwartung sind die Aussichten für viele Menschen wenig rosig. Der Ruf nach einer Rentenreform wird deshalb immer lauter. ZEW-Finanzwissenschaftler Prof. Dr. Andreas Peichl argumentiert, dass es für eine nachhaltige Regelung der Altersbezüge nur begrenzte Möglichkeiten gibt. Letztlich gehe es um eine stärkere Ausgewogenheit zwischen Alt und Jung und eine sozial gerechtere Umverteilung des Systems.

Verstärkt wird eine Renteneintrittsalter ab 70 gefordert. Um das Rentenniveau zu sichern, ist die Lebensarbeitszeit noch enger an die erhöhte Lebenserwartung zu koppeln. Was halten Sie davon?

Das ist sinnvoll und notwendig. Unser Rentensystem wurde Ende des 19. Jahrhunderts eingeführt – mit einem Renteneintrittsalter von 70 Jahren und einer durchschnittlichen Lebenserwartung bei kaum 50 Jahren. Heute ist das ganz anders. Aufgrund des Produktivitätswachstums konnten die mit der steigenden Lebenserwartung einhergehenden Kosten einige Zeit lang gut kompensiert werden. Durch die höhere Lebenserwartung steigt nicht nur die Zahl der Rentner, sondern auch die Bezugsdauer. Gleichzeitig kommen immer weniger junge Menschen nach. Deshalb funktioniert das Umlageverfahren faktisch nicht mehr. Aufgrund des stetig steigenden Verhältnisses von Rentnern zu Berufstätigen ist die langfristige Tragfähigkeit des Systems nicht mehr gegeben und es sind dringende Reformen notwendig.

Die Rentenversicherung ist besser als ihr Ruf. Statt nur auf das Renteneintrittsalter zu blicken, kann an viel mehr Stellschrauben gedreht werden. Was muss die Politik am aktuellen Rentenmodell ändern?

Die Politik hat im aktuellen System grundsätzlich drei Stellschrauben: den Beitragssatz erhöhen, die Rentenhöhe oder die Rentenbezugsdauer senken. Für Letzteres gibt es zwei Möglichkeiten: das Renteneintrittsalter erhöhen oder die Lebenserwartung senken, welches aber keine ernstzunehmende Option ist. Die Beitragssätze zu erhöhen ist nicht sinnvoll, da dies im aktuellen System die Belastung auf den Faktor Arbeit erhöhen und damit zu mehr Arbeitslosigkeit führen würde. Da wir ein Umlagesystem haben, könnte man überlegen, die Rentenhöhe für Personen ohne Kinder abzusenken, da in einem solchen System Kinder und nicht die eingezahlten Beiträge die Rentenansprüche begründen. Das ist aber politisch schwierig. Bleibt nur die Erhöhung des Renteneintrittsalters. Allerdings muss „Rente mit 70“ nicht heißen, dass jeder wirklich solange arbeiten muss. Man kann auch viel früher in Rente gehen – mit entsprechenden Abschlägen auf die Rentenzahlungen.

Viele Menschen haben Angst, dass ihre Rente nicht reichen wird. Wie wahrscheinlich ist eine ernsthafte Altersarmut?

Es ist klar, dass die gesetzliche Rente nur einen gewissen Teil des letzten Einkommens, die sogenannte Lohnersatzrate, ersetzt. Deshalb ist eine private Altersvorsorge wichtig. Wenn nicht genug Rente zum Leben gegeben ist, gibt es Ansprüche auf staatliche Transfers wie Wohngeld oder Sozialhilfe. Es wäre jedoch grundsätzlich zu überlegen, das jetzige umlagefinanzierte System in ein steuerfinanziertes Modell mit einer Grundrente über dem Armutsniveau umzuwandeln, ähnlich wie es beispielsweise in Schweden der Fall ist.

Hat das Drei-Säulen-Modell von gesetzlicher Rente, Riester-Rente und Betriebsrente überhaupt noch eine Zukunft?

Selbstverständlich. Nur sind einige Reformen notwendig, um das System tragfähig für die Zukunft zu machen. Man sollte die Kombination aus gesetzlicher Rentenversicherung und privater, kapitalgedeckter Vorsorge beibehalten. Sicherlich kann man diskutieren, ob die steuerliche Förderung der Riesterrente sinnvoll ist oder inwieweit es Handlungsbedarf gibt. Viel wichtiger wäre es, das Umlageverfahren der gesetzlichen Rente zu reformieren. Ich würde die Rentenversicherungsbeiträge – wie insgesamt die Sozialversicherungsbeiträge – abschaffen und alles aus Steuermitteln mit anderen Steuersätzen finanzieren, wie dies in Dänemark der Fall ist. Das hat den Vorteil, dass nicht nur Arbeitseinkommen belastet werden und umgekehrt alle Personen, auch die Beamten und Selbständigen, im gleichen System wären. Außerdem gäbe es keine Beitragsbemessungsgrenze mehr, so dass es eine gerechtere Umverteilung gäbe. Im aktuellen System wird die Mittelschicht überproportional stark belastet. Ein solches System würde "die Rente sicher" machen.

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Prof. Dr. Andreas Peichl
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