Wie(viel) Wissen fließt?
VeranstaltungenKonferenz zu Austauschprozessen zwischen Wissenschaft und Wirtschaft
Wie(viel) Wissen fließt? Dieser Frage zu Austauschprozessen zwischen Wissenschaft und Wirtschaft ging eine Konferenz am 11. Oktober 2019 in Berlin nach, gemeinsam organisiert vom ZEW Mannheim und dem Stifterverband. Die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte Veranstaltung bot über 130 Teilnehmerinnen und Teilnehmern die Gelegenheit zum intensiven Austausch. Hochrangige Vertreterinnen und Vertreter aus Unternehmen, Verbänden, Forschung und Politik diskutierten über Wissens- und Technologietransfers.
In den drei ersten Panelsessions umrissen Expertinnen und Experten die jeweiligen Perspektiven von Industrie und Wissenschaft zu den Themen Offenheit im Innovationsprozess, Wissenstransferplattformen und Relevanz von Kooperationen für disruptive Innovationen. In der vierten Session lag der Fokus auf der innovationspolitischen Bewertung der zuvor erarbeiteten Erkenntnisse. Moderiert von Prof. Dr. Uschi Backes-Gellner von der Universität Zürich diskutierten vier Entscheidungsträger aus dem Bereich der Innovationspolitik: Prof. Dr. Uwe Cantner, Vorsitzender der Expertenkommission Forschung und Innovation, CDU-Bundestagsabgeordneter Dr. Stefan Kaufmann, Prof. Dr. Matthias Kleiner, Präsident der Leibniz-Gemeinschaft, und BMBF-Staatssekretär Christian Luft.
Mehrwert Offenheit im Innovationsprozess
Unternehmen zielen mit offenen Innovationsprozessen darauf ab, durch das Teilen von eigenem Wissen und die Einbeziehung externer Dritter Innovationsprozesse zu verbessern. Offene Innovationsprozesse dienen unter anderem dazu, neue Impulse für Produkte zu erhalten, bestehende Probleme effizienter zu lösen und die Technologieentwicklung voranzutreiben. Die konkrete Umsetzung offener Innovationsprozesse ist allerdings vielfältig. Der Leiter des Bereichs Open Innovation bei BMW, Kai Petrick, betonte beispielsweise, dass offene Innovationsprozesse für BMW insbesondere für die Generierung neuer Ideen außerhalb des Kerngeschäfts von Bedeutung wären und hierzu verschiedenste Strategien genutzt würden. Dabei sähe sich BMW selbst eher als „Match-Maker“ zwischen externen und internen Experten. Katharina Hochfeld, Leiterin Unternehmenskultur und Transformation beim Fraunhofer IAO, verwies darauf, dass offene Innovationsprozesse auch innerhalb eines Unternehmens genutzt würden – beispielsweise zwischen verschiedenen Abteilungen – und eine offene Unternehmenskultur in solchen Fällen eine besonders wichtige Rolle spiele. Der Co-Direktor des Instituts für Technologie- und Innovationsmanagement an der RWTH Aachen, Prof. Torsten-Oliver Salge, Ph.D., erläuterte, dass offene Innovationssprosse nicht nur positive Effekte auf Unternehmen hätten, sondern auch mit negativen Begleiterscheinungen, wie beispielsweise ungewollten Wissensabflüssen, einhergehen könnten. Daher sei es immer notwendig abzuwägen, in welchem Ausmaß und unter welchen Bedingungen Innovationsprozesse (wie) offen gestaltet werden sollten. Auch betonte Prof. Dr. Ellen Enkel von der Zeppelin Universität, dass Offene Innovationsprozesse insbesondere von etablierten Unternehmen effektiv nutzbar seien, da diese durch ihre Bekanntheit leichter externe Partner gewinnen könnten. Gleichzeitig seien es aber vor allem junge und kleine Unternehmen, die am meisten von dem aus offenen Innovationsprozessen gewonnenen Knowhow profitieren könnten.
Erfahrungen zu Wissenstransferplattformen
Wissenstransferplattformen sollen den Austausch zwischen Unternehmen sowie zwischen Unternehmen und der Wissenschaft unterstützen. Solche Plattformen können sehr unterschiedlich gestaltet sein. ZEW Research Associate Dr. Maikel Pellens, Gastprofessor an der Universität Gent in Belgien, berichtete beispielsweise über die internationalen Erfahrungen mit Tauschbörsen für Rechte an intellektuellem Eigentum. Solche Tauschbörsen schaffen einen Markt für den Handel von intellektuellem Eigentum, insbesondere von Patenten. Pellens argumentierte allerdings, dass alle aktuell existierenden Plattformen verschiedene Schwierigkeiten in ihrer Funktionsfähigkeit hätten. Das gravierendste Problem sei die geringe Anzahl der gehandelten Patente. Prof. Dr. Tom Brökel von der Universität Stavanger in Norwegen fokussierte seinen Vortag auf die Bedeutung verschiedener Arten von Nähe, die zum Erfolg von Wissenstransferprozessen beitragen. Dabei nahmen die geografische und technologische Nähe der an den Austauschprozessen beteiligten Partnern eine wichtige Rolle ein. Brökel argumentierte, dass es ein optimales Maß technologischer Nähe gäbe, bei dem die Kooperationspartner von ihrem unterschiedlichen Wissen profitieren und gleichzeitig die Einarbeitungskosten der Partner in die Themen des jeweils anderen gering blieben. Diese Erkenntnis sei besonders relevant in Bezug auf die Förderung von Verbundprojekten, in denen sich Akteure mit unterschiedlichen technologischen Hintergründen zusammenfinden. Sie wirft die Frage auf, ob hier zusätzliche Anreize für bestimmte Partnerkombinationen geschaffen werden sollten. Geografische Nähe, beispielsweise in Form eines geografischen Clusters, erleichtere wiederum den Wissensaustausch der lokalen Akteure im Allgemeinen. Eine besondere Rolle spiele diese Nähe nach Prof. Sonja Sackmann, Ph.D., von der Universität der Bundeswehr München bei dem anfänglichen persönlichen Kontakt zwischen Kooperationspartnern, der für eine langfristige Zusammenarbeit essenziell sei.
Rahmenbedingungen für disruptive Innovationen
Disruptive Innovationen verändern existierende Märkte grundlegend. Sie ersetzen bestehende Produkte oder Dienstleistungen und können zu sprungartigen und fundamentalen Erneuerungen langfristig etablierter Systeme führen. Der Leiter Research & Technology der ZEISS-Gruppe, Dr. Ulrich Simon, zeigte dies am Beispiel der Kameraindustrie. Diese habe innerhalb einer Dekade zweimal disruptive Veränderung erfahren: zuerst durch den Wechsel von analogen zu digitalen Kameras und anschließend durch den Wechsel von der Digitalkamera zum Smartphone. Beide Male sei der Markt der Vorgängertechnologie von dem neuen Produkt weitestgehend übernommen worden. Das Beispiel des Wechsels von der Digitalkamera zum Smartphone zeige außerdem auch, dass für disruptive Innovationen ein großer technologischer Fortschritt nicht zwingend notwendig sei, sondern andere Faktoren eine wichtige Rolle spielen könnten. Im konkreten Fall sei dies die Entstehung sozialer Netzwerke wie Facebook und Instagram. Der Austausch von Fotos auf diesen Plattformen sei der wesentliche Treiber für die disruptive Veränderung gewesen, ohne dass es im Bereich der Kameratechnologie zu einer großen technologischen Veränderung gekommen wäre. Eine Schwierigkeit bei der Analyse von disruptiven Innovationen besteht darin, sie rechtzeitig zu erkennen. Dies ist in vielen Fällen erst lange nach dem Auftreten der Innovationen möglich. ZEW-Forschungsbereichsleiter Dr. Georg Licht schlug vor, neue Produkte vor allem in Hinsicht auf ihr Marktpotenzial zu evaluieren. Ulrich Simon bestätigte, dass eine zunehmende Sensibilisierung zu dem Thema auch innerhalb der Unternehmen stattfinde. Eine gezielte Förderung disruptiver Innovationen sei allerdings schwierig. Prof. Dr. Fabian Gässler vom Max-Planck-Institut für Innovation und Wettbewerb und der TUM School of Management empfahl hierzu insbesondere eine Förderung des Wissensaustauschs zwischen Industrie und Wissenschaft, um Unternehmen eine Einschätzung des Leistungspotenzials neuer – potenziell disruptiver – Technologien zu erleichtern, die ihren Ursprung auch häufig in der Wissenschaft hätten. Licht bekräftigte diese Empfehlung und betonte, dass für die Entfaltung disruptiver Innovationen gute Rahmenbedingungen wichtiger seien als eine projektbasierte Förderung von Innovationen.
Podiumsdiskussion zur innovationspolitischen Bewertung
Die finale Podiumsdiskussion benannte einige neue Themen, griff aber auch bereits angesprochene Punkte auf. Die beiden großen Themenschwerpunkte der Diskussion waren die Bedeutung verschiedener Arten des Informationsaustauschs zwischen Wissenschaft und Wirtschaft sowie die Evaluierung bestehender und zukünftiger Förderprogramme. Außerdem wurde festgestellt, dass Grundlagenforschung und Wissenstransfer zwischen Wissenschaft und Wirtschaft sich nicht gegenseitig ausschließen, sondern beide gefördert werden sollten. Auch betonten die Diskussionsteilnehmer in ihren Impulsvorträgen die essentielle Rolle der Umsetzung von Innovationen in Produkte zur Sicherung der wirtschaftlichen Zukunftsfähigkeit Deutschlands.
Zur Evaluierung von Fördermaßnahmen unterstrich Uwe Cantner die Wichtigkeit, Wissensflüsse und -träger besser zu quantifizieren. Zudem merkte Christian Luft an, dass es den Mut brauche, Förderungen zu beenden, die nicht den gewünschten Output erbracht haben. Ein passendes Beispiel hierzu lieferte der Präsident der Leibniz-Gemeinschaft, Matthias Kleiner. So sei das Qualitätsniveau der Leibniz-Institute zwar insgesamt hoch, dennoch gäbe es immer wieder die Situation, dass ein Institut nach einer Evaluierung geschlossen würde, um auf diesem Weg die Ressourcen auf die qualitativ besten Einrichtungen zu bündeln.
Uschi Backes-Gellner betonte, dass der Austausch über Köpfe im Wissenstransfer große Bedeutung habe, dies bestätigte Kleiner, da circa 80 Prozent der Promovierenden nach ihrem Abschluss in die Privatwirtschaft wechselten. Auch gäbe es als weiteres positives Beispiel gemeinsame Berufungen von Universitäten und Unternehmen. Die Diskussion zeigte aber auch, dass es noch viele Verbesserungsmöglichkeiten gäbe, insbesondere in Bezug auf eine flexiblere Gestaltung von Jobwechseln von der Wirtschaft in die Wissenschaft und umgekehrt. Uwe Cantner verwies außerdem auf die an Universitäten implementierten Wissenstransferstellen und Stefan Kaufmann betonte die wichtige Rolle der außeruniversitären Forschungsinstitute, insbesondere für die Kombination von angewandter Forschung und Grundlagenforschung.