Wirtschaftsnobelpreis 2020: Von der Theorie bis zum (Markt-)Design?

Standpunkt

Standpunkt von ZEW-Präsident Achim Wambach

Vor etwa 20 Jahren wurden in Deutschland die 3G-Mobilfunkfrequenzen für die unglaubliche Summe von damals über 100 Milliarden D-Mark versteigert. Damals war das neu, seitdem sind Auktionen für Frequenzen in Deutschland die Norm. Erst im letzten Jahr wurden wieder Frequenzen für 5G-Anwendungen versteigert. Dass dem so ist, und dass nicht wie früher die Frequenzen den Telekommunikationsunternehmen einfach überlassen wurden, ist den beiden diesjährigen Nobelpreisträgern, Paul ­Milgrom und Robert Wilson zu verdanken. Sie haben das Design der ersten Frequenzauktion 1994 in den USA mitentwickelt, die dort durch die US-amerikanische Telekommunikationsregulierungsbehörde durchgeführt wurde. Damit haben sie Standards für die Versteigerung von Telekommunikations-Frequenzen gesetzt, die weltweit angewandt werden.

In den Wirtschaftswissenschaften haben sie mit ihren Arbeiten die Literatur zum Marktdesign mitbegründet. Marktdesign geht von der Einsicht aus, dass die Regeln auf Märkten bestimmen, ob diese erfolgreich sind oder nicht. Zwei Beispiele: Das Auk­tionshaus Sotheby’s versteigert Gemälde, indem die Bieter höher bieten als das aktuelle Gebot, bis am Ende ein Bieter ­übrigbleibt, der den Zuschlag erhält. Eine sogenannte englische Auktion. In den Niederlanden werden Tulpenzwiebeln auf dem Großmarkt so versteigert, dass ein großer Zeiger einen Preis darstellt und diesen im Sekundentakt senkt. Der erste, der zuschlägt, erhält die Kiste mit den Zwiebeln zu dem angezeigten Preis – weltweit bekannt als holländische Auktion. Für den Erfolg der Auktion macht es einen Unterschied, ob Bieter sich hochbieten – wie bei Sotheby’s – oder darauf warten, bei fallenden Preisen als Erste zuzuschlagen, wie in der holländischen Ver­sion. Wenn z.B. die Gefahr besteht, dass sich Bieter absprechen, ist ein gemein­sames Hochbieten nicht zu empfehlen.

Anderseits kann es sinnvoll sein, dass Bieter während der Auktion voneinander lernen. Vielleicht ändert sich die Zahlungs­bereitschaft eines Bieters, wenn er beobachtet, dass andere Bieter noch im Rennen oder bereits ausgestiegen sind. Das ist der Vorteil einer dynamischen Auktion über mehrere Runden, weil dort auf diese Informationen reagiert werden kann. Solche Situationen haben Milgrom und Wilson untersucht. Ihre Erkennt­nisse  sind ein wichtiger Grund dafür, warum heute die Frequenzen meist in dynamischen Auktionen vergeben werden – die 5G-Auktion beispielsweise hatte knapp 500 Bietrunden.

Mittlerweile sind Auktionen und die mathematische Theorie dahinter fester Bestandteil der Lehrbücher in den Wirtschaftswissenschaften und Auktionsdesign fester Bestandteil von Unternehmen und Behörden. Staatsanleihen werden per Auktionen vergeben. Auktionen spielen eine zentrale Rolle bei der Energiewende, etwa durch die Ausschreibungen für erneuerbare Energien. Diese Dominanz von Auktionen hat einen guten Grund – dadurch lässt sich die Zuteilung von knappen Ressourcen häufig schnell und meist effizient organisieren.

Diese Entwicklung hat durch die Digitalisierung noch mehr an Dynamik gewonnen. Ebay ist als Auktionshaus großgeworden, Google versteigert seine Werbeplätze an der Suchmaschine. So verwundert es nicht, dass die großen Digitalunternehmen vermehrt Mikroökonomen einstellen. Die Beispiele verdeutlichen, wie stark die Erkenntnisse des Marktdesigns unseren Alltag prägen. Die Bedeutung dieses Felds hat das ZEW frühzeitig erkannt: Seit vier Jahren ist Marktdesign wichtiger Bestandteil unserer Forschungsagenda.

Dieser Beitrag ist in einer längeren Version am 12.10.2020 in der „Welt“ erschienen.

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Prof. Achim Wambach, PhD
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