Worauf sich Europa im neuen Jahrzehnt einstellen kann

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ZEW-Präsident blickt bei Neujahrsvorlesung auf die Weltwirtschaft

ZEW-Präsident Prof. Achim Wambach, PhD spricht bei seiner ersten Neujahrsvorlesung über die aktuelle Wirtschaftslage und gibt einen Ausblick auf die Konjunkturerwartungen für 2020.

Nicht nur ein neues Jahr, auch ein neues Jahrzehnt hat begonnen. Was steht Deutschland, Europa und der Welt bevor? In seiner ersten Neujahrsvorlesung am ZEW Mannheim zeigte ZEW-Präsident Prof. Achim Wambach, Ph.D. am 23. Januar 2020 auf, welche Entwicklungen die Weltwirtschaft in nächster Zeit bestimmen werden – und wie sich die EU positionieren kann, um gegen die zwei anderen großen Wirtschaftsräume China und USA zu bestehen.

Seinen Vortrag mit dem Titel „America First, Made in China 2025 – und Europa?“ begann Wambach mit einem Blick auf die aktuelle Wirtschaftslage. Für Deutschland sehe es nicht schlecht aus: Die Konjunkturerwartungen, für die das ZEW monatlich bis zu 300 Finanzmarktexperten/-innen befragt, seien im Januar 2020 auf den höchsten Wert seit Juli 2015 gestiegen, und auch die Erwartungen für den Euroraum stiegen wieder stärker. „Im Sommer 2019 sah es wesentlich schlechter aus  – davon haben wir uns erholt“, kommentierte Wambach.

In den USA stiegen die Konjunkturerwartungen ebenfalls, blieben aber im negativen Bereich. Für China hingegen zeige sich ein trüberes Bild, wie die jüngste Umfrage für das China Economic Panel zeige, die das ZEW regelmäßig gemeinsam mit der Fudan-Universität Shanghai durchführt. Was das Wirtschaftswachstum angeht, wird für 2020 in der EU ein schwaches Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von 1,4 Prozent vorhergesagt. „Die Wirtschaft wächst, aber das gibt keinen Anlass zur Euphorie“, resümierte Wambach.

Die Hauptursachen für konjunkturelle Schwächen, wie es sie in Deutschland etwa im Sommer 2019 gab, sieht Wambach im internationalen Umfeld. Einschneidende Ereignisse wie der bevorstehende Brexit oder der Handelskonflikt zwischen den USA und China hätten großen Einfluss auf die heimische Wirtschaft. Angesichts der hohen Bedeutung des internationalen Handels befasste sich Wambach in seinen Ausführungen mit den zentralen Entwicklungen innerhalb der drei Wirtschaftsgrößen USA, China und EU, die zusammen für 62 Prozent des weltweiten Bruttoinlandsprodukts  verantwortlich sind.

Die USA zwischen Protektionismus und Freihandel

Mit Blick auf die Vereinigten Staaten sei die Steuerreform aus dem Jahr 2017 von besonderer Bedeutung: Unter anderem durch die Reduktion des Unternehmenssteuersatzes seien die USA attraktiver für grenzüberschreitende Investitionen geworden. „Deutschland ist im Vergleich ein Hochsteuerland“, sagte Wambach und begrüßt daher den Vorschlag von Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier, über eine Reform der Unternehmenssteuer nachzudenken.

Die Beschäftigung mit der aktuellen US-Wirtschaft kommt allerdings nicht ohne das Thema Zölle aus. Die vieldiskutierte Zollpolitik von US-Präsident Donald Trump interpretierte der ZEW-Präsident nicht grundsätzlich als protektionistisch, sondern sieht darin vielmehr ein Verhandlungsinstrument. So sei etwa mit der Unterzeichnung eines ersten Freihandelsabkommens zwischen den Vereinigten Staaten und China bereits eine Teileinigung in dem Handelsstreit zwischen den beiden Großmächten erreicht worden.

Für die EU habe Trumps aggressive Zollpolitik sogar ihre Vorteile: „Wir profitieren von der Handelsumleitung, weil die EU nun teilweise diejenigen Produkte an die USA liefert, die nicht mehr aus China kommen.“ Darüber hinaus sieht Wambach es als positiv, dass die EU seit 2019 auf protektionistische Signale aus den USA mit der Aushandlung eigener bilateraler Freihandelsabkommen reagiert habe. „Die Widerstände gegen den Freihandel sind hierzulande schwächer geworden.“

Gemischte Signale aus China

China sei erst in jüngster Zeit wirklich auf der politischen Agenda Deutschlands angekommen, so Wambach. Der Handel mit dem Reich der Mitte wachse. „Weil wir nicht nur viel aus China importieren, sondern auch viel dorthin exportieren, profitieren wir sowohl von günstigen Importgütern als auch von der Schaffung neuer Arbeitsplätze“, analysierte der ZEW-Präsident. Da die deutsche Patentstrategie – im Gegensatz zu der US-amerikanischen – komplementär zu der chinesischen sei, statt in direkter Konkurrenz zu ihr zu stehen, profitierten aus Wambachs Sicht beide Seiten von der Zusammenarbeit.

Dennoch gebe es auch gemischte Signale aus China. Mit der Strategie „Made in China 2025“ strebe die chinesische Regierung an, den Staat unabhängiger von ausländischen Technologien zu machen und die eigenen Technologien stärker auf internationalen Märkten zu verbreiten. Vor allem was das Zukunftsthema Künstliche Intelligenz betreffe, habe China bereits die weltweite Führungsrolle übernommen, gefolgt von den USA. „Deutschland und die EU laufen in diesem Bereich nur hinterher“, gab Wambach zu bedenken.

Besonders schwierig ist aus seiner Sicht die Frage, wie Deutschland und die EU mit einem Staat umgehen sollen, der zwar sehr dominant sei, aber nicht den marktwirtschaftlichen Regeln folge. Mit ersten Maßnahmen habe Deutschland bereits auf die Machtposition Chinas reagiert. Zum Beispiel wurde im Dezember 2018 durch die Verschärfung der Außenwirtschaftsverordnung die ausländische Übernahme von deutschen Unternehmen erschwert. „Für die Zukunft würde vor allem ein Investitionsabkommen mit China helfen“, meinte Wambach. Mit Spannung sei daher der EU-China-Gipfel zu erwarten, der im September 2020 in Leipzig stattfinden soll.

Alumni-Treffen am ZEW

Nach dem Blick auf die USA und China beschäftigte sich Wambach schließlich mit den besonderen Herausforderungen, die Europa in nächster Zeit bevorstehen – allen voran mit dem EU-Austritt Großbritanniens am 31. Januar 2020, für den bis zum Sommer dieses Jahres noch die Endvereinbarung auszuhandeln ist. Besonderes Augenmerk richtete Wambach außerdem auf das Thema Finanzmarktintegration, mit dem sich aktuell die EU-Kommission auseinandersetzt. Als Lektion aus der Finanzkrise brauche es eine geordnete Restrukturierung von Staatsschulden, um konjunkturelle Schwankungen besser abzufangen. Von zentraler Bedeutung werde zudem der Klimaschutz sein – denn die USA, China und die EU seien zusammen für 52 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich. „Deshalb wird es 2020 besonders wichtig werden, am Green Deal der EU-Kommission zu arbeiten und den Emissionshandel neu zu regeln.“

Im Anschluss an den Vortrag eröffnete Wambach die Diskussion mit den 110 Zuhörern/-innen, unter denen sich auch 18 Alumni des ZEW befanden, die zuvor zu einem Alumni-Treffen zusammengekommen waren. Der Abend, der vom Förderkreis Wissenschaft und Praxis am Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung e. V. unterstützt wurde, endete mit einer Debatte über die Innovationsdynamik der drei großen Wirtschaftsräume und über das zukünftige Machtgefüge zwischen den bestehenden Wirtschaftsmächten und den aufholenden Schwellenländern.

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