Zehn Thesen zur Ungleichheitsdebatte
StandpunktMeldungen über wachsende Ungleichheit machen immer wieder Schlagzeilen. Als Reaktion darauf fordern viele eine höhere Besteuerung der "Reichen" und einen Ausbau des Sozialstaates. Wie wirtschaftliche Ungleichheit sich entwickelt und welche Konsequenzen für die deutsche Politik sich daraus ergeben, lässt sich in zehn Thesen zusammenfassen:
- In den vergangenen beiden Jahrzehnten sind Armut und Einkommensungleichheit weltweit nicht gestiegen, sondern zurückgegangen. Verantwortlich dafür ist die Integration der Schwellenländer, vor allem Chinas, in die Weltwirtschaft.
- In den Industrieländern hat die Ungleichheit der Markteinkommen seit den achtziger Jahren zugenommen. In den USA ist der Einkommenszuwachs der oberen zehn Prozent besonders ausgeprägt.
- In Deutschland hat die Ungleichheit der Markteinkommen ebenfalls zugenommen, vor allem zwischen 1995 und 2005. Seit 2005 ist die Einkommensungleichheit ungefähr konstant.
- Wichtiger als die Markteinkommen sind die verfügbaren Einkommen. Das Steuer- und Transfersystem dämpft die Ungleichheit in den meisten Industrieländern erheblich.
- In Deutschland verteilt der Staat mehr um als in fast allen anderen OECD-Ländern. Deshalb hat die Ungleichheit der verfügbaren Einkommen seit 1995 nur wenig zugenommen. Der Anteil der ärmsten 25 Prozent der Bevölkerung ist quasi stabil. Der Anteil der oberen zehn Prozent hat leicht zugenommen, ist aber immer noch niedriger als im EU-Durchschnitt.
- Vermögensungleichheit ist schwerer zu messen als Einkommensungleichheit. Nach vorliegenden Studien ist das Vermögen der Haushalte in Deutschland im internationalen Vergleich niedrig, aber es ist sehr ungleich verteilt. Diese Studien zeichnen ein verzerrtes Bild, weil sie Renten- und Pensionsansprüche vernachlässigen, die in Deutschland wichtiger sind als in anderen Ländern.
- Wenn die Politik sich entscheidet, die Umverteilung durch Steuern auszuweiten, sollten Instrumente gewählt werden, die Schäden für Wachstum und Beschäftigung möglichst gering halten. Von einer Nettovermögensteuer ist daher abzuraten. Unter den vermögensbezogenen Steuern wäre eine Bodenwertsteuer weniger schädlich.
- Zur Begrenzung der Ungleichheit von Arbeitseinkommen spielen Investitionen in Bildung eine zentrale Rolle. Öffentliche Mittel sollten in größerem Umfang in Kindergärten und Grundschulen fließen. Von Studenten an Hochschulen sollten einkommensabhängige Studiengebühren erhoben werden.
- Zur Bekämpfung von Altersarmut sollte Jedermann verpflichtet werden, eine private Altersvorsorge aufzubauen. Staatliche Förderung privater Altersvorsorge sollte sich auf Bedürftige konzentrieren.
- Eingriffe in die Preisbildung wie gesetzliche Mindestlöhne oder Mietpreisbremsen sind kein effizientes Instrument der Verteilungspolitik.
Die These allgemein wachsender Armut und Ungleichheit ist falsch. Die weltweite Armut hat in den vergangenen Jahrzehnten drastisch abgenommen, die Einkommensungleichheit ist zurückgegangen. Das ist eine Folge des Aufstiegs der Schwellenländer. In den reichen Industrieländern wächst die Ungleichheit der „Markteinkommen“. Aber letztlich kommt es auf die "verfügbaren Einkommen" an, also die Einkommen nach Steuern und Transfers, die jeder letztlich ausgeben kann. Der Sozialstaat federt die zunehmende Ungleichheit ab. In Deutschland wird mehr umverteilt als in fast allen anderen Ländern. Die Politik sollte sich darauf konzentrieren, den deutschen Wohlfahrtsstaat so zu reformieren, dass er auch künftig Absicherung bietet.