ZEW-Präsident Wolfgang Franz zum Thema "Klima"
StandpunktDie neuen Berichte des Weltklimarats heben die Gefahr einer weltweiten Klimaerwärmung deutlich hervor, mit dramatischen Folgen. Bis zu 30 v.H. der Tier- und Pflanzenwelt seien vom Aussterben bedroht, und in den Megadeltas in Asien stehe infolge des zunehmenden Anstiegs des Meeresspiegels eine Wasserknappheit bei gleichzeitiger Überflutung bevor.
Obschon das Szenario einer globalen Erwärmung von den Wissenschaftlern mit einer allerdings sehr hohen Wahrscheinlichkeit versehen wird, sollte es als Grundlage für weitere Erörterungen zur Klimapolitik dienen, zumal heutzutage wesentlich umfangreichere Datensätze und leistungsfähigere Simulationsmodelle zur Verfügung stehen. Natürlich besteht das Risiko, dass die Wissenschaftler sich irren und wir eine kostenträchtige, aber nutzlose Klimapolitik betreiben. Aber die Kosten eines Abwartens dürften unverhältnismäßig und unvertretbar höher sein, wenn die Klimaforscher nämlich recht behalten.
Im Mittelpunkt der klimapolitischen Diskussion steht der Kohlendioxid(CO2)-Ausstoß. Und nun wird es skurril. Praktisch kein Tag vergeht, ohne dass sich jemand berufen fühlt, mit einschlägigen Vorschlägen an die Öffentlichkeit zu treten, vorneweg Politiker. Die Spanne der Empfehlungen reicht von einem Verbot konventioneller Glühbirnen und Stand-by-Schaltern über Appelle, den Urlaub hierzulande zu verbringen, bis hin zu einer ermäßigten Erbschaftssteuer für Energiesparhäuser. Diese und andere Ideen auch nur ansatzweise in Frage zu stellen, gilt in hohem Maße als ketzerisch, zumindest aber als politisch unkorrekt.
Unbestritten muss der CO2-Ausstoß verringert werden, selbst vor dem Hintergrund, dass auf menschliche Aktivitäten nur ein kleiner, wenngleich rasant steigender Anteil daran entfällt. Solange indes China, Indien und die Vereinigten Staaten weitermachen wie bisher - auf diese Länder entfällt rund die Hälfte des weltweiten anthropogenen CO2-Ausstoßes -, entfalten Maßnahmen hierzulande nur ziemlich unerhebliche Wirkungen, der entsprechende Anteil Deutschlands beläuft sich nämlich auf drei Prozent. Gleichwohl kann sich Deutschland zugute halten, für die Bilanz der EU-15-Staaten Schlimmeres verhindert zu haben. Während Deutschland und das Vereinigte Königreich den CO2-Ausstoß seit dem Jahr 1990 kräftig verringert haben, wurden diese Minderungen von den steigenden Emissionen der restlichen EU-15-Mitgliedsstaaten sogar überkompensiert. Obgleich zur eindrucksvollen Bilanz Deutschlands der Niedergang der ostdeutschen Industrie beigetragen hat, sind wir der immer wieder thematisierten Vorbildfunktion bisher jedenfalls nachgekommen.
Wenn es darum geht, auf diesem Weg weiter zu schreiten, sollte mehr Rationalität in die CO2-Reduktionspolitik einkehren. Ein geeignetes Kriterium dafür sind die Grenzvermeidungskosten, also die Kosten für die nächste zu vermeidende Tonne CO2. Das heißt, dass mit der Reduktionspolitik dort angesetzt werden sollte, wo die Grenzvermeidungskosten vergleichsweise niedrig sind, solange bis sich diese in allen Sektoren angeglichen haben. Dies entspricht nicht nur einem ökonomischen Kalkül, sondern stellt zudem ein ökologisches Erfordernis dar. Denn wenn stattdessen nach dem Motto "Wir sparen, koste es, was es wolle" verfahren wird und wir somit wertvolle Ressourcen verschwenden, laufen wir Gefahr, letztlich weniger Klimaschutz als möglich zu erreichen. So übersteigen etwa die Grenzvermeidungskosten des Autofahrens die der Energieerzeugung um mehr als den Faktor 10. Mit anderen Worten: Jede ersparte Tonne CO2 im Automobilbereich kostet im Vergleich zur Energieerzeugung rund zehn Mal soviel. Der Staat wäre vermutlich überfordert, die Grenzvermeidungskosten für sämtliche Sektoren zu ermitteln. Das ist auch nicht erforderlich. Er kann den Akteuren die Knappheit an CO2 durch Steuern und Zertifikatpreise signalisieren und ihnen die Entscheidung über Art und Umfang der Vermeidung überlassen. Mit einem einheitlichen Knappheitssignal für CO2 kann damit die Angleichung der Grenzvermeidungskosten getrost den Emittenten selbst überlassen werden