ZEW-Präsident Wolfgang Franz zum Thema "Tariftreue"

Standpunkt

Die Treue gehört nach allgemeinem Verständnis aus guten Gründen zu den höchsten Tugenden, verbunden mit der bekannten Mahnung "Üb immer Treu und Redlichkeit". Doch es gibt Ausnahmen. Dazu zählt die Tariftreue, mit deren Redlichkeit es ohnehin nicht weit her ist. Tariftreue bezieht sich auf die Vergabe öffentlicher Aufträge. Demnach müssen ein Bieter und seine Vertragspartner die Verpflichtung eingehen, das in Tarifverträgen vereinbarte Arbeitsentgelt am Ort zu entrichten. Andernfalls erhalten sie den Auftrag nicht oder - im Fall einer Verletzung der Tariftreueerklärung – werden Vertragsstrafen gegen sie verhängt. Solche gesetzliche Regelungen galten in einer Reihe von Bundesländern, bis der Europäische Gerichtshof (EuGH) vor wenigen Wochen das entsprechende Gesetz Niedersachsens als mit dem europäischen Recht nicht vereinbar erklärte. Daraufhin hoben die betreffenden Bundesländer die Bestimmungen zur Tariftreue auf. Der Bundesrat hat Ende Mai diesen Jahres den Antrag dreier Bundesländer für ein bundesweites "europarechtskonformes" Tariftreuegesetz abgelehnt.

Konkret monierte der EuGH einen Verstoß gegen die europäische Dienstleistungsfreiheit, wie sie im Artikel 49 EG-Vertrag festgelegt ist. Weder könne die Tariftreueregelung als Mindestlohnersatz gemäß Entsenderichtlinie angesehen werden, denn der der Entscheidung zugrunde liegende Baugewerbe- Tarifvertrag im Land Niedersachsen sei nicht für allgemeinverbindlich erklärt worden und das niedersächsische Vergabegesetz bezöge sich nur auf öffentliche, nicht aber auch auf private Aufträge. Noch lasse sich die Tariftreueregelung mit Zielen des Arbeitnehmerschutzes rechtfertigen, nicht zuletzt weil es keine Gründe für die Ungleichbehandlung von Beschäftigten im öffentlichen Bereich im Vergleich zum privaten Sektor gebe. Vielmehr behinderten die Tariftreueregelungen Unternehmen aus anderen Mitgliedstaaten der EU, in denen niedrige (Mindest-)Lohnsätze herrschten, bei der Erbringung von Dienstleistungen. Diese Entscheidung des EuGH lässt an Klarheit und ökonomischer Richtigkeit kaum Wünsche offen, allerdings zum Entsetzen der in diesem Zusammenhang üblichen Verdächtigen. Umgehend forderte der Deutsche Gewerkschaftsbund die EU-Regierungschefs auf, eine "soziale Fortschrittsklausel" zu beschließen, damit solche Urteile nicht mehr möglich seien. Andernfalls müsse die EU-Entsenderichtlinie dahingehend geändert werden, dass Tariftreueerklärungen bei nicht für allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträgen ebenfalls zulässig seien. Einige Politiker sekundierten mit dem von ihnen gebetsmühlenartig vorgetragenen Hinweis, wie dringend erforderlich doch flächendeckende Mindestlöhne seien. Vom Steuerzahler ist bei solchen Einlassungen für eine Tariftreue kaum die Rede, obwohl er am meisten betroffen ist. Im Interesse einer sparsamen Verwendung von Steuermitteln schreibt praktisch jede Vergabeordnung für öffentliche Aufträge zwingend vor, bei gleicher Qualität der Leistung den preisgünstigeren Anbieter zum Zuge kommen zu lassen. Das kann ein tarifgebundenes Unternehmen sein, muss es aber nicht. Eine Tariftreueregelung verletzt diese Vorgabe in unredlicher Weise. Wiederum zahlt der Steuerzahler die Zeche, wenn sich der Gesetzgeber für Partikularinteressen bestimmter Branchen einspannen lässt. Wie man es auch dreht und wendet, bei der gesamten Diskussion um Tariftreue , Entsendegesetz und Mindestlöhne geht es in der Regel um ein Ziel, nämlich die Abwehr unliebsamer Konkurrenz. Selbstverständlich wird in Sonntagsreden das hohe Lied auf die Segnungen des Wettbewerbs gesungen. Aber am Montag folgt dann das Plädoyer für vielfältige Ausnahmeregelungen, zuvörderst in den Bereichen, in denen man selbst betroffen ist. Das begann Mitte der neunziger Jahre mit dem Arbeitnehmer- Entsendegesetz, mit dessen Hilfe sich die Bauwirtschaft vor der Konkurrenz kostengünstigerer Arbeit aus anderen EU-Ländern zu schützen trachtete, und zieht sich hin bis zum Jahr 2008 mit einem Mindestlohn für Briefzusteller, um Konkurrenten der Deutschen Post das Leben schwer zu machen.