ZEW-Präsident Wolfgang Franz zum Thema "Verfallsdatum 2010?"
StandpunktWir befinden uns im Zieljahr der Agenda 2010, die der damalige Bundeskanzler Schröder in seiner Regierungserklärung vom 14. März 2003 verkündete. Sie enthielt eine beeindruckende Liste von Reformideen, welche dann mit einem bemerkenswerten Tempo auf den Weg gebracht wurden. Der Reformstau in Deutschland, den der seinerzeitige Bundespräsident Herzog in der bekannten Berliner Rede 1997 ("Ruck-Rede") beklagt hatte, begann sich aufzulösen. Eine kaum für möglich gehaltene Welle von Reformen am Arbeitsmarkt, an den Systemen der Sozialen Sicherung und der Unternehmensbesteuerung veränderte die ökonomischen Rahmenbedingungen hin zu mehr Marktwirtschaft.
Wir befinden uns im Zieljahr der Agenda 2010, die der damalige Bundeskanzler Schröder in seiner Regierungserklärung vom 14. März 2003 verkündete. Sie enthielt eine beeindruckende Liste von Reformideen, welche dann mit einem bemerkenswerten Tempo auf den Weg gebracht wurden. Der Reformstau in Deutschland, den der seinerzeitige Bundespräsident Herzog in der bekannten Berliner Rede 1997 ("Ruck-Rede") beklagt hatte, begann sich aufzulösen. Eine kaum für möglich gehaltene Welle von Reformen am Arbeitsmarkt, an den Systemen der Sozialen Sicherung und der Unternehmensbesteuerung veränderte die ökonomischen Rahmenbedingungen hin zu mehr Marktwirtschaft. Dies alles tönt heute wie aus einer anderen Welt. Die Agenda 2010 und die Reformen werden Stück für Stück demontiert oder zumindest in Frage gestellt und einige frühere Verfechter der Agenda 2010 zeigen sich bei diesem Thema peinlich berührt. Mehr Staat, mehr Regulierung, mehr Umverteilung lautet nun das Credo. Steht 2010 mithin für das Verfallsdatum der Agenda 2010? Die Agenda 2010 beinhaltete weniger ein detailliert ausgearbeitetes Drehbuch konkreter Reformschritte, sondern bedeutete eher eine Chiffre für einen grundlegenden Politikwechsel der seinerzeitigen Bundesregierung. Die Agenda 2010 griff zum einen bereits vorgelegte Überlegungen auf, etwa im Hinblick auf eine Änderung des institutionellen Regelwerks auf dem Arbeitsmarkt in Anlehnung an die Ergebnisse der Kommission "Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt" ("Hartz-Kommission"). Die Agenda 2010 ebnete zum anderen den Weg für mehrere Gesetze zu Reformen am Arbeitsmarkt (darunter "Hartz I – IV"). Das Kernstück dieser Arbeitsmarktreformen betrifft in die richtige Richtung gehende Reformen beim System der Lohnersatzleistungen bei Arbeitslosigkeit und hier vor allem die Zusammenlegung von Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe zum Arbeitslosengeld II sowie die seinerzeitige Verkürzung der Bezugsdauer des regulären Arbeitslosengelds. Der Leitgedanke des "Forderns und Förderns" hielt Einzug, basierend auf der Einsicht, dass das Arbeitslosengeld II keine Versicherungsleistung darstellt, sondern eine aus Steuermitteln finanzierte Fürsorgeleistung der Gesellschaft, die ihrerseits einen Anspruch auf Gegenleistung seitens der Empfänger des Arbeitslosengelds II besitzt, nämlich in Form einer intensiven Arbeitsplatzsuche und einer Akzeptanz selbst weniger attraktiver Arbeitsplätze. Die Agenda 2010 gab des Weiteren Anstöße zu weitreichenden Reformen bei der Unternehmensbesteuerung und der Sozialversicherung. Die Unternehmenssteuerreform erhöhte die steuerliche Attraktivität des Wirtschaftsstandortes Deutschland signifikant, wenngleich einige Reformelemente noch korrigiert werden müssen. Bei der Gesetzlichen Rentenversicherung hatte die Umsetzung der Maßnahmen der Agenda 2010 zur Folge, dass der Reformbedarf danach im Wesentlichen abgearbeitet war. Das Gesundheitssystem hingegen stellt nach wie vor eine Großbaustelle dar. Die Reformen im Fahrwasser der Agenda 2010 lieferten einen wesentlichen Beitrag zum Beschäftigungsaufbau der Jahre 2006 bis 2008, sehr zum Missmut linker politischer Gruppierungen und einschlägiger Sozialfunktionäre. Sie holen zum Gegenschlag aus. Praktisch alles wird jetzt wieder in Frage gestellt, angefangen bei der Neuordnung der Grundsicherung bei Arbeitslosigkeit über die Reform der Gesetzlichen Rentenversicherung bis hin zur Senkung des Spitzensteuersatzes bei der Einkommensteuer. Die überwunden geglaubten anti-marktwirtschaftlichen Parolen feiern fröhliche Urstände, wobei die Finanz- und Wirtschaftskrise den Populisten wie gerufen kommt, um den Leuten ökonomischen Unsinn schmackhaft zu machen: Rentengarantien, aber keine Rente mit 67; markante Erhöhungen des Regelsatzes beim Arbeitslosengeld II, aber Rücknahme der Einschränkungen; drastischer Anstieg des Spitzensteuersatzes, bei gleichzeitiger Neubelebung der Vermögensteuer; und so weiter. Wir brauchen eine neue Agenda, welche diesem Treiben ein Ende bereitet und stattdessen den noch bestehenden Reformbedarf erledigt, eine Agenda 2020 oder besser eine Agenda 2015.