Zurückhaltende Prognosen trotz leichter Erholung der Eurozone
Konjunkturtableaus von ZEW und Börsen-ZeitungAnhaltende Unsicherheiten dämpfen die Erwartungen für 2024
Die Expertinnen und Experten für Konjunktur verändern trotz der Anzeichen einer wirtschaftlichen Erholung der Eurozone im ersten Halbjahr 2024 ihre BIP-Prognosen nicht. Eventuell wird die geringe Veränderung der Wachstumserwartungen durch die leicht steigende Inflationsrate beeinflusst, die auf anhaltenden Inflationsdruck hinweisen könnte. Aufgrund der unklaren Inflationsdynamik bleibt die EZB bei weiteren Zinsschritten zögerlich, was sich auch in den stagnierenden Zinserwartungen widerspiegelt. In Deutschland hat das rückläufige BIP-Wachstum im zweiten Quartal 2024 die Sorge vor einer möglichen Rezession verstärkt. Dennoch bleiben die Wachstumserwartungen für das Jahr 2024 weitgehend unverändert, während die Unsicherheit unter den Experten/-innen deutlich zugenommen hat. Das zeigen die Konjunkturtableaus von ZEW Mannheim und Börsen-Zeitung.
Das reale BIP in der Eurozone ist sowohl im ersten als auch im zweiten Quartal 2024 um 0,3 Prozent gewachsen. Es mehren sich somit die Anzeichen für eine wirtschaftliche Erholung in der Eurozone. Diese Entwicklung spiegelt sich jedoch aktuell noch nicht in den BIP-Erwartungen der Expertinnen und Experten wider. Für das Jahr 2024 prognostizieren diese wie schon im Vormonat ein BIP-Wachstum in Höhe von 0,8 Prozent. Die Spannweite der individuellen Wachstumserwartungen sinkt hingegen auf 0,5 Prozentpunkte, was auf eine zunehmende Einigkeit unter den Expertinnen und Experten hindeutet. Für das Jahr 2025 wird ein BIP-Wachstum in Höhe von 1,4 Prozent erwartet (minus 0,1 Prozentpunkte gegenüber Juli). Die Spannweite der Erwartungen liegt weiterhin bei 0,9 Prozentpunkten. Es ist denkbar, dass der zu eskalieren drohende Konflikt in Nahost, die unerwartet schlechten Zahlen vom US-amerikanischen Arbeitsmarkt sowie der unsichere Ausgang der US-Präsidentschaftswahl verhindern, dass die Wachstumserwartungen für die Eurozone weiter steigen.
Anstieg der Inflationsraten im Juli
Eine weitere mögliche Erklärung ist, dass die geringen Veränderungen der Wachstumserwartungen trotz positiver Impulse aus der Wirtschaft mit der Entwicklung der Inflationsrate zusammenhängen. Die Inflationsraten in der Eurozone und in Deutschland sind im Juli jeweils leicht gestiegen. Konkret lagen die vorläufigen Inflationsraten für Juli mit 2,6 Prozent (Eurogebiet) bzw. 2,3 Prozent (Deutschland) um jeweils 0,1 Prozentpunkte über den Juni-Werten. Bezogen auf den Euroraum handelt es sich dabei bereits um den zweiten Anstieg der Inflation in den vergangenen drei Monaten. Dies wiederum könnte als Indiz für einen weiterhin anhaltenden Inflationsdruck interpretiert werden. Auf Sicht des gesamten Jahres 2024 erwarten die Expertinnen und Experten allerdings sowohl für die Eurozone als auch für Deutschland weiterhin Inflationsraten in Höhe von je 2,4 Prozent. Die Spannweiten der Inflationserwartungen für 2024 sind ebenfalls unverändert. Mit Werten von 0,7 (Eurozone) bzw. 0,6 (Deutschland) Prozentpunkten deuten sie auf eine große Einigkeit unter den Expertinnen und Experten hin. Die prognostizierten Inflationsraten für das Jahr 2025 betragen 2,1 Prozent für die Eurozone (unverändert gegenüber Juli) bzw. 2,2 Prozent für Deutschland (plus 0,1 Prozentpunkte gegenüber Juli). Die dazugehörigen Spannweiten betragen in beiden Fällen 1,4 Prozentpunkte.
Unsicherheit über zukünftige Zinsschritte
Die unklare weitere Inflationsdynamik in der Eurozone ist einer der Hauptgründe für das Zögern der EZB bezüglich weiterer Zinsschritte. Dementsprechend verändern sich auch die Zinserwartungen der Expertinnen und Experten nur geringfügig. Die Erwartungen an die kurzfristigen Zinsen in drei Monaten (zwölf Monaten) liegen unverändert bei 3,7 Punkten (2,8 Punkten). Die hohe Unsicherheit unter den Befragten hinsichtlich der weiteren Zinsentscheidungen durch die EZB zeigt sich in den Spannweiten der Erwartungen in Höhe von 0,9 bzw. 2,4 Prozentpunkten (ebenfalls unverändert gegenüber Juli). Bezogen auf den kurzen Prognosehorizont sind diese Werte recht hoch.
Experten/-innen uneinig über die Wachstumserwartungen für Deutschland
Die Quartalswachstumszahlen für Deutschland betragen 0,2 Prozent im ersten Quartal 2024 und minus 0,1 Prozent im zweiten Quartal 2024. Durch das rückläufige BIP-Wachstum im zweiten Quartal mehren sich die Sorgen, dass Deutschland am Rande einer Rezession steht. Die Wachstumserwartungen für das Jahr 2024 verändern sich allerdings nur minimal im Vergleich zum Vormonat. Die Expertinnen und Experten erwarten für das Jahr 2024 weiterhin ein BIP-Wachstum in Höhe von 0,2 Prozent. Eine bemerkenswerte Verschiebung gibt es hingegen bei der Unsicherheit der Expertinnen und Experten. Die Spannweite der Erwartungen erhöht sich um 0,9 Prozentpunkte auf 1,5 Prozentpunkte. Somit lässt sich eine deutlich gestiegene Uneinigkeit unter den Expertinnen und Experten bezüglich des Wachstumsausblicks für das aktuelle Jahr feststellen. Die Wachstumsprognose für das Jahr 2025 sinkt um 0,1 Prozentpunkte auf einen Wert von 1,0 Prozent bei einer unveränderten Spannweite in Höhe von 1,4 Prozentpunkten.
Konjunkturtableaus von ZEW und Börsen-Zeitung
In Kooperation mit der Börsen-Zeitung veröffentlicht das ZEW seit dem Jahr 2013 monatlich Konjunkturtableaus für Deutschland und die Eurozone mit volkswirtschaftlichen Kennzahlen und Prognosen. Zahlreiche Banken und Institute veröffentlichen in unterschiedlichen Abständen Berichte über die aktuelle und voraussichtliche wirtschaftliche Lage. Aus diesen Publikationen werden die für das Tableau relevanten Informationen herausgefiltert und der Median, das Minimum und das Maximum aus den Prognosen für das jeweils laufende und dessen Folgejahr berechnet.
Die monatlich veröffentlichten Konjunkturtableaus zeigen die aktuellen Prognosen für das Bruttoinlandsprodukt (BIP), die Verwendungskomponenten des BIP, Verbraucherpreise, Industrieproduktion, Arbeitslosenquote und lang- und kurzfristige Zinsen sowie Zinsdifferenzen. Der Fokus liegt auf nationalen Informationsquellen, allerdings ergänzen die Prognosen einiger internationaler Banken und Institute die Datenbasis des Tableaus. Das Tableau für den Euroraum wird zudem noch mit Daten von europäischen Banken und Instituten erweitert.