Alleingänge in der nationalen Strompolitik gefährden europäische Marktintegration

Forschung

Der deutsche Atomausstieg und das Erneuerbare-Energien-Gesetz entfalten externe Effekte in Sachen EU-Marktintegration.

In bereits hoch integrierten Märkten können unilaterale Entscheidungen einzelner, in diese Märkte einbezogener Nationalstaaten enorme finanzielle Auswirkungen auf alle Marktteilnehmer haben. Das zeigt eine Studie des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW), die sich mit zwei unilateralen energiepolitischen Maßnahmen Deutschlands beschäftigt: der sofortigen Abschaltung von fünf Atomkraftwerken nach der Fukushima-Katastrophe im Jahr 2011 sowie dem Ausbau von Erneuerbaren Energien auf Basis des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG).

Das Ergebnis: Es entstanden durch den Atomausstieg jährliche Zusatzkosten in Milliardenhöhe, die nicht nur Deutschland sondern auch dessen Nachbarländer zum Teil erheblich belasteten, während das EEG für die deutschen Nachbarländer hohe Kosten-Entlastungen zur Folge hatte. Dieser Befund belegt für die Autoren der Studie, dass eine vollständige Integration der Strommärkte in Europa nur dann nachhaltig erfolgreich sein kann, wenn wesentliche Teile der nationalen Energiepolitiken auf europäischer Ebene koordiniert werden, Alleingänge ohne Absprachen mit den Partnern also unterbleiben.

Die Studie untersucht auf Basis von Großhandelspreisen, wie stark der deutsche Strommarkt in die Strommärkte der Nachbarländer bereits integriert ist und welche finanziellen Effekte nationale Politiken auf die Nachbarstaaten haben. Dabei wird berechnet, wie sich der deutsche Atomausstieg und der Ausbau von fluktuierenden erneuerbaren Energien aufgrund der Fördermaßnahmen des EEGs auf die Strompreise in den Nachbarländern sowie in der Bundesrepublik selbst auswirken.

Atomausstieg lässt Strompreise in Deutschlands Nachbarstaaten steigen

Exemplarisch hat der deutsche Atomausstieg in Frankreich zu einer durchschnittlich 16-prozentigen Preiserhöhung für Strom geführt, was im Beobachtungszeitraum 2010 bis 2012 jährliche Mehrkosten von rund drei Milliarden Euro verursachte. Der Ausbau von Wind- und vor allem Solarerzeugungskapazitäten in Deutschland in den Jahren vor und nach dem Atomausstieg (2010 bis 2012) hat allerdings gleichzeitig zu einer Reduktion der Stromkosten um 800 Millionen Euro pro Jahr geführt – die nationale deutsche Energiepolitik kostete Frankreich somit rund 2,2 Milliarden Euro jährlich. Damit sind die Kosten für Frankreich höher als für Deutschland selbst, das mit rund 1,7 Milliarden Euro jährlich belastet wird.

In Tschechien liegt die durchschnittliche Strompreiserhöhung aufgrund des deutschen Atomausstiegs bei 19 Prozent, gefolgt von den Niederlanden und der Schweiz mit jeweils sieben Prozent. Dänemark ist unterteilt in die Preiszonen Ost und West, wobei die Preiserhöhung mit 18 Prozent beziehungsweise neun Prozent zu Buche schlägt. Für Polen stellt die Studie keine prozentuale Veränderung fest.

"Nationale Energiepolitik auf EU-Ebene koordinieren"

Mittels der gemessenen Effekte deutscher Strompolitiken und unter Berücksichtigung der Auslastung der grenzüberschreitenden Stromleitungen (Grenzkuppelstellen) berechnet die Studie den gegenwärtigen Grad der Strommarktintegration von Deutschland mit seinen Nachbarn. Dabei zeigt sich, dass Deutschland mit den Niederlanden (99 Prozent) und Tschechien (89 Prozent), aber auch mit der Schweiz (82 Prozent) bereits ganz oder sehr stark integriert ist. Etwas weniger aber immer noch gut integriert sind Frankreich (74 Prozent) und die beiden dänischen Preiszonen (76 Prozent und 69 Prozent). Die große Ausnahme stellt Polen dar, dessen Strommarkt fast vollständig von Deutschland abgekoppelt ist (lediglich 14 Prozent Marktintegration).

"Eine vollständige und nachhaltige Marktintegration kann nur dann erfolgreich sein, wenn zentrale Teile nationaler Energiepolitik auf europäischer Ebene koordiniert werden", fasst Sven Heim, Wissenschaftler am ZEW und einer der Autoren der Studie, zusammen. "Aktuelle Diskussionen wie etwa über die Notwendigkeit eines Kapazitätsmarkts, der im Bedarfsfall Wind- und Sonnenflauten durch das Vorhalten ausreichender konventioneller Kraftwerksleistung auffangen soll, sollten deshalb in Zukunft auf supranationaler Ebene stattfinden."

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