Asylpolitik in Europa: ZEW-Studie plädiert für Europäische Asylagentur

Forschung

Die Ausgaben für Asylverfahren und Unterbringung sollten aus dem EU-Haushalt refinanziert werden.

Eine Europäische Asylagentur (EAA) mit umfassender Zuständigkeit für die Aufnahme von Flüchtlingen und die Durchführung der Asylverfahren wäre kostengünstiger und gerechter als das bisherige System mit einzelstaatlichen Asylverfahren. Eine höhere Spezialisierung der EAA-Fallmanager und ausreichende Kapazitäten in den Asylverfahren würden die Verfahrensdauern und Kosten senken. Zudem könnte die Verteilung entsprechend den Aufnahmekapazitäten der Mitgliedstaaten erfolgen. Zu diesem Ergebnis kommt eine Analyse des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim.

Ausgangspunkt der Untersuchung ist das offensichtliche Scheitern der gegenwärtigen Aufgabenverteilung zwischen der EU und ihren Mitgliedstaaten in der Asylpolitik. Obwohl die Standards der Aufnahme von Flüchtlingen durch EU-Richtlinien auf dem Papier vereinheitlicht sind, gibt es drastische Unterschiede. So variieren die Kosten für die Durchführung eines Asylverfahrens inklusive Unterbringung und Versorgung in der EU zwischen wenigen Hundert Euro und hohen fünfstelligen Beträgen. „Eine Reihe von EU-Staaten betätigen sich hier als Schwarzfahrer: Sie wälzen durch miserable Aufnahmebedingungen die Kosten auf andere Staaten ab“, so die Diagnose von Friedrich Heinemann, Leiter des ZEW-Forschungsbereichs Öffentliche Finanzwirtschaft. Gemessen an einer Quoten-Aufteilung, bei der die Aufnahmekapazität unter anderem nach der Größe eines Landes, seinem Bruttoinlandsprodukt in absoluten Zahlen sowie der Höhe der Arbeitslosigkeit berechnet wird, gibt es extreme Unterschiede bei der tatsächlichen Aufnahme. Während Länder wie Deutschland oder Schweden das Zwei- bis Dreifache ihrer rechnerischen Quote aufnehmen, liegt die Aufnahme in den osteuropäischen EU-Staaten unter fünf Prozent der eigentlich auf sie entfallenden Quote, für manche Länder wie Slowenien oder die Slowakische Republik sogar nur bei einem Prozent der Aufnahmekapazität.

Die ZEW-Studie durchleuchtet verschiedene Alternativen zur gegenwärtigen Aufgabenverteilung. Eine Quote, die einen verbindlichen Aufnahmeschlüssel für alle EU-Staaten festlegt, ist zwar naheliegend, aber mit großen Umsetzungsproblemen konfrontiert. Alleine für die 2015 nach Europa eingereisten Flüchtlinge käme es auf der Basis von Schätzungen von Oktober 2015 zu einer Umsiedlung von 923.000 Menschen. Zum Beispiel müssten jeweils mehr als 100.000 Menschen von Deutschland, Schweden oder anderen Aufnahmeländern nach Frankreich und Spanien umgesiedelt werden. Zum größten Teil müssten diese Umsiedlungen gegen den Willen der Betroffenen erfolgen, was mit unüberwindbar hohen humanitären und finanziellen Kosten verbunden wäre.

Eine weitere denkbare Lösung wäre, die Ausgaben für die Asylverfahren und die Unterbringung aus dem EU-Haushalt zu refinanzieren. Die ZEW-Studie beziffert die dazu notwendige Erhöhung des EU-Haushalts auf Basis vorläufiger Flüchtlingszahlen des Jahres 2015 auf 30,3 Milliarden Euro. Zwar würde der Beitrag Deutschlands zum EU-Haushalt durch diese Maßnahme um etwa sechs Milliarden Euro steigen. Dem stünde aber eine Erstattung von Flüchtlingskosten in Höhe von knapp elf Milliarden Euro gegenüber. Deutschland würde somit um etwa fünf Milliarden Euro entlastet.

Eine noch weitergehendere Lösung bestünde darin, die Asylverfahren und die Unterbringung der Flüchtlinge während der Dauer des Verfahrens zu einer EU-Zuständigkeit zu machen. Eine Europäische Asylagentur (EAA) wäre für die Schaffung einer europaweiten Infrastruktur zur Aufnahme der Flüchtlinge und für die Durchführung der Verfahren nach einheitlichen Standards zuständig. Die EAA könnte mit einer höheren Spezialisierung ihrer Fallmanager zum einen die Kosten für ein Asylverfahren pro Fall verringern, zum anderen die Verfahrensdauer verkürzen. Dadurch könnten die Gesamtkosten für die Erstaufnahme bis zum Abschluss der Verfahren um 16 bis 40 Prozent oder 4,8 bis 12,1 Milliarden Euro pro Jahr verringert werden, je nachdem wie optimistisch die Spezialisierungsvorteile eingeschätzt werden.

Erst mit der umfassenden Zuständigkeit einer EAA wären die Ziele eines Quotensystems realisierbar. Die EAA könnte die Verteilung der Flüchtlinge im Sinne einer Quotenlösung verwirklichen. Durch die Etablierung eines akzeptablen einheitlichen Mindeststandards für die Aufnahme von Flüchtlingen in allen EU-Staaten könnten die schlechten Aufnahmebedingungen in einigen von ihnen verbessert und so der jetzt zu beobachtenden Konzentration auf die EU-Staaten mit den besten Bedingungen entgegengewirkt werden. Gleichzeitig würde die europäische Bereitstellung der Aufnahmeeinrichtungen die infrastrukturellen Voraussetzungen für die gleichmäßige Verteilung schaffen.

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Prof. Dr. Friedrich Heinemann, Telefon 0621/1235-149, E-Mail heinemann@zew.de