Chancengleichheit in Deutschland - Der Westen hinkt dem Osten hinterher
ForschungMit dem Mauerfall und der Öffnung der innerdeutschen Grenze vor 25 Jahren hatte die Politik blühende Landschaften in den neuen Bundesländern vor Augen. Was ist heute aus dieser zukunftsträchtigen Wirtschaftsperspektive geworden? Aus einer aktuellen noch unveröffentlichten Studie des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) geht hervor, dass die Chancengleichheit in Deutschland seit der Wiedervereinigung gestiegen ist. Das Bemerkenswerte: Die Chancen, durch eigene Anstrengung ein höheres Einkommen zu erreichen, sind im Osten deutlich höher als im Westen.
Für die Debatte über Einkommensungleichheit ist entscheidend, wie Ungleichheit zu Stande kommt. "Die Chancengleichheit in einer Gesellschaft ist umso größer, je mehr vorhandene Einkommensunterschiede auf eigene Anstrengung zurückzuführen sind und nicht von der Herkunft abhängen", sagt Andreas Peichl, Leiter der Forschungsgruppe "Internationale Verteilungsanalysen" am ZEW und Professor für Quantitative Finanzwissenschaft an der Universität Mannheim. Die Untersuchung der ZEW-Ökonomen anhand von Umfragedaten für Deutschland aus den Jahren 1992 bis 2011 zeigt ein interessantes Gefälle zwischen alten und neuen Bundesländern.
"Im Westen ist die Chance, durch eigene Anstrengung ein höheres Einkommen zu erzielen, also eine Erfolgsgeschichte, die im besten Fall 'vom-Tellerwäscher-zum-Millionär' führt, deutlich geringer als im Osten", so Peichl. Gleichzeitig sind die durchschnittlichen Einkommen in den neuen Bundesländern um 19,5 Prozent niedriger als in den alten Bundesländern. Zudem ist die Einkommensungleichheit insgesamt - also die Summe der durch eigene Anstrengung und äußere Umstände verursachte Ungleichheit - um rund 17 Prozent niedriger. Aus den betrachteten Mikrodaten lassen sich verschiedene Gründe für diese Ost-West-Unterschiede ableiten.
Zum einen haben Frauen im Osten tendenziell einen niedrigeren Lohnnachteil verglichen mit Männern als im Westen. Das wirkt sich positiv auf die gemessene Chancengleichheit aus. Zum anderen haben Ausbildung und Einkommen beziehungsweise sozio-ökonomischer Status der Eltern im Westen einen deutlich größeren Einfluss auf Ausbildung und Einkommen der Kinder als im Osten. Auch die deutlich größere Verfügbarkeit von (Ganztags-) Kinderbetreuung im Osten spielt eine wichtige Rolle.
Die Studie zeigt darüber hinaus, dass Menschen mit Migrationshintergrund in beiden Landesteilen schlechter bezahlt werden. Dieser Effekt ist im Osten etwas stärker ausgeprägt, aber insgesamt rückläufig, was den seit 1998 sinkenden Trend der Chancenungleichheit in Gesamtdeutschland erklärt. Pikant ist diesem Zusammenhang aber, dass auch Personen, die in der ehemaligen DDR geboren wurden, nun aber in den westlichen Bundesländern leben, unter sonst gleichen Umständen niedrigere Löhne erhalten. "Es gehört zu den Herausforderungen für die Politik in Deutschland, die Chancengleichheit zum Beispiel durch Reformen des Bildungssystems, eine Verbesserung der Kinderbetreuung sowie eine bessere Integration von Migranten zu erhöhen", schlussfolgert Peichl.
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Prof. Dr. Andreas Peichl, Telefon 0621/1235-389, E-Mail peichl@zew.de