Corona-Bonds wären eine Weichenstellung in Richtung eines umfassenden Bailouts
NachgefragtNachgefragt bei ZEW-Ökonom Friedrich Heinemann
Die Covid-19-Pandemie stellt Volkswirtschaften weltweit vor Herausforderungen. Der Bundestag hat ein Rettungsprogramm verabschiedet, das über Schulden finanziert werden soll. Vom Corona-Virus besonders betroffene Staaten wie Italien und Spanien sind jedoch jetzt schon so hoch verschuldet, dass sie über wesentlich geringere finanzielle Spielräume verfügen. Diese und andere Länder fordern nun die Einführung sogenannter Corona-Bonds.
ZEW-Finanzwissenschaftler Prof. Dr. Friedrich Heinemann erklärt im Interview, warum Corona-Bonds das falsche Instrument sind, um die aktuelle Krise zu bewältigen.
Was genau sind Corona-Bonds?
Wie schon bei der Eurobonds-Diskussion vor zehn Jahren gibt es auch jetzt eine ganze Flut von Modellvarianten. Die zentrale Grundidee ist aber immer dieselbe: Die Euro-Staaten oder die EU als ganze sollen gemeinsame Anleihen begeben und gesamtschuldnerisch dafür haften. Dies wäre weitgehender als bei den ESM- oder EZB-Krediten. Die Haftung bei den ESM-Kredite ist „teilschuldnerisch“, kein Land haftet für die volle Summe. Und bei den Anleihekäufen des Eurosystems ist die Haftung dadurch begrenzt, dass nur die nationalen Zentralbanken die Anleihen ihres Landes kaufen. Die „Corona-Eurobonds“ würden von daher eine Vergemeinschaftung von Staatsschulden bringen, wie es sie bislang in Europa nicht gibt.
Was würde ihre Einführung für ein Land wie Italien bedeuten?
Italien erlebt wie alle anderen Euro-Staaten durch die Corona-Krise einen Schock von historischem Ausmaß, der nun in kürzester Zeit die Staatsverschuldung rasch weiter nach oben treibt. Anders als bei den meisten Eurostaaten sind die Altschulden am Vorabend der Krise mit 136 Prozent jedoch bereits so hoch und das Wachstumspotenzial des Landes so gering, dass es auch vor Corona schon Zweifel an der Schuldentragfähigkeit gegeben hat. Es ist wahrscheinlich, dass Italien durch Corona endgültig in eine Überschuldung gerät. Das Land wird seine Verschuldung dann nicht mehr aus eigener Kraft bedienen können. Corona-Bonds würden Erleichterung verschaffen: Die Zinsen blieben trotz angeschlagener Bonität niedrig und im Fall eines künftigen Zahlungsausfalls würde die Haftungsgemeinschaft aller Europäer einspringen.
Welche Auswirkungen könnten Corona-Bonds auf die gesamte Eurozone haben?
Corona-Bonds sind eigentlich zunächst nur für die Finanzierung der fiskalischen Kosten der Corona-Krise gedacht. Es ist jedoch mehr als fraglich, ob es dabei bliebe. Sind die Corona-Bonds einmal etabliert, dann werden sie den Appetit der Investoren auf die nationalen Anleihen von ausfallgefährdeten Staaten weiter verringern. Es könnte sich rasch eine Zwangslage entwickeln, in der fällig werdende italienische Staatsanleihen durch frisches europäisches Geld refinanziert werden muss. Auch wenn niemand darüber offen redet: Im Grunde geht es in der ganzen Debatte nicht primär um die unmittelbaren Corona-Kosten, sondern um die Frage, wie Europa in Zukunft mit den Altschulden überschuldeter Mitgliedstaaten umgehen soll. Die Corona-Bonds nehmen eine ganz bestimmte Antwort vorweg: Europa löst das Überschuldungsproblem einzelner Staaten durch umfangreiche Transfer, indem die Last der Staatsverschuldung in Teilen auf die solventen Länder übertragen wird. Dies wäre letztlich eine Weichenstellung in Richtung eines umfassenden Bailouts.
Was wäre eine Alternative, um hoch verschuldete Staaten in der Krise zu stabilisieren?
In der unmittelbaren Krisenphase ist es von großer Bedeutung, den hoch verschuldeten Staaten rasch, umfangreich und ohne große Auflagen Liquidität zur Verfügung zu stellen. Das, was Europa mitten in der schwersten Rezession der EU-Geschichte am allerwenigsten gebrauchen kann, ist ein ungeordneter Zahlungsausfall von Euro-Ländern. Der ESM ist hier das Mittel der ersten Wahl. Er ist arbeitsfähig, erprobt, hat klare Regeln und das Vetorecht aller Mitgliedstaaten schützt vor einseitigen Deals. Er hat zudem bei Ländern wie Irland, Portugal und Spanien gezeigt, dass seine Hilfen in der Regel temporär sind, also nach der akuten Krisenphase wieder zurückgefahren werden. Nur Griechenland hängt auf Dauer am Tropf des ESM, hat für diese Hilfen aber in großem Umfang Auflagen erhalten. Länder, die nun Hilfe des ESM in Anspruch nehmen, wissen, dass dies zwar ein oder zwei Jahre weiterhilft, aber keine Perspektive auf Langfristfinanzierung bietet ohne eine ganz erhebliche Einschränkung der nationalen Autonomie.
Wie lässt sich das Problem der Überschuldung einiger Euro-Länder langfristig angehen?
Das ist vielleicht die schwierigste Frage, die sich Europa in den kommenden Jahren stellt. Im Prinzip gibt es drei Möglichkeiten, die auch kombiniert werden können: erstens Transfers von solventen Staaten durch einen Bailout, zweitens Forderungsverluste der Kreditgeber und drittens finanzielle Sonderopfer besonders wohlhabender Gruppen im überschuldeten Land. Es gibt keinen Weg, der nicht ökonomische Risiken hätte und hohe politische Widerstände erwarten lässt. Mitten in der akuten Krise mit ihrer extremen Unsicherheit ist eine ausgewogene und wohl informierte Entscheidungen unmöglich. Heute geht es einfach darum Zeit zu kaufen und den „großen Deal“ zur Lösung des Überschuldungsproblems einzelner Staaten auf bessere Zeiten zu verschieben. Corona-Bonds würden dieser Erkenntnis widersprechen, weil sie Fakten schaffen und möglicherweise irreversibel eine Transferlösung einleiten.