Deutsche Immobilienwirtschaft als Stabilisator und Wachstumsmotor

Forschung

ZEW legt gemeinsam mit Universität Mannheim und Institut der deutschen Wirtschaft Gutachten zur gesamtwirtschaftlichen Perspektive der deutschen Immobilienwirtschaft vor. Mit dem Gutachten gelingt erstmals eine umfassende und einheitliche Darstellung der Märkte und ihrer Akteure.

Mit über 707.000 Unternehmen und rund 3,8 Millionen Erwerbstätigen ist die Immobilienwirtschaft nicht nur einer der größten Wirtschaftszweige Deutschlands, sondern auch eines der dynamischsten Wachstumsfelder. Die Branche vereinigt 22 Prozent aller Unternehmen und 10 Prozent aller Erwerbstätigen auf sich. Mit rund 390 Milliarden Euro trug die Immobilienwirtschaft 2006 (zum Vergleich 1991: 242 Milliarden Euro) zur gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfung bei. Dies entspricht 18,6 Prozent. 150 Milliarden Euro entfielen dabei auf die Immobilienwirtschaft im engeren Sinne, also Vermieter, Vermittler und Verwalter von Immobilien, etwa gleichmäßig verteilt auf Wohn- und Gewerbeimmobilien. Weitere 100 Milliarden Euro werden den Selbstnutzern von Wohnimmobilien zugerechnet. Die Immobilienwirtschaft ist damit wesentlich größer als Fahrzeug- und Maschinenbau zusammen, deren Wertschöpfung bei rund 155 Milliarden Euro lag.

Dies sind die wichtigsten Ergebnisse einer Studie zur gesamtwirtschaftlichen Bedeutung der Immobilienwirtschaft, die die Gesellschaft für Immobilienwirtschaftliche Forschung (gif), der Deutsche Verband für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung (DV), die Bundesvereinigung Spitzenverbände der Immobilienwirtschaft (BSI), der Zentrale Immobilien Ausschuss (ZIA) und weitere Verbände sowie das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung in Auftrag gegeben haben.

Immobilienwirtschaft bewirtschaftet Bestände im Wert von neun Billionen Euro

Der Wert der Wohn- und Nichtwohnbauten zu Wiederbeschaffungskosten betrug zu Beginn des Jahres 2008 6,6 Billionen Euro. Davon entfielen 59 Prozent auf Wohnbauten und 41 Prozent auf Gewerbe- und Infrastrukturbauten. Zusammen mit den Grundstücken (2,4 Billionen Euro) summiert sich das gesamte Immobilienvermögen auf knapp neun Billionen Euro. Zum Vergleich: Das Bruttoinlandsprodukt Deutschlands belief sich im Jahr 2008 auf rund 2,5 Billionen Euro. Belegt wird die große Bedeutung der Immobilienwirtschaft und ihre Verzahnung mit der Finanzwirtschaft auch dadurch, dass in Deutschland etwa 55 Prozent aller Kredite mit Immobilien besichert werden.

Die Bedeutung von Immobilien für die private Vermögensbildung geht aus der Tatsache hervor, dass die Hälfte des privaten Vermögens aus Immobilien besteht. Darüber hinaus spielt für die heutige Rentnergeneration Wohneigentum eine viel größere Rolle als in der Vergangenheit. Knapp ein Drittel aller Wohneigentümer in Westdeutschland ist heute älter als 65 Jahre. In der Altersgruppe der 65- bis 80-Jährigen ist die Wohneigentumsquote zwischen 1991 und 2007 um rund zehn Prozentpunkte und bei den über 80-Jährigen sogar um knapp 17 Prozentpunkte gestiegen.

Stabilisierende Funktion in Krisenzeiten

Eine Besonderheit des deutschen Immobilienmarktes im internationalen Vergleich ist seine große Stabilität. Deutschland weist von allen OECD-Staaten die geringsten Schwankungen bei Wohnimmobilienpreisen auf. Das Gutachten belegt, dass es in Deutschland keinen Preisboom sowohl bei Gewerbe- als auch bei Wohnimmobilien gegeben hat. In Anbetracht der engen gesamtwirtschaftlichen Verzahnung der Immobilienwirtschaft erhält diese Stabilität in Krisenzeiten eine außergewöhnliche Bedeutung.

Ein Grund hierfür ist das System der Immobilienfinanzierung in Deutschland. Festzinsen und hohe Eigenkapitalquoten sorgen dafür, dass die Immobilienpreise im Vergleich zu anderen Ländern weniger auf kurzfristige Zinsänderungen reagieren. Durchschnittlich finanzieren deutsche Wohneigentumserwerber mit 27 Prozent Eigenkapital. Geprägt wird das deutsche Immobilienfinanzierungssystem auch durch den Pfandbrief, über den rund ein Fünftel aller Hypothekenkredite refinanziert wird. Der Pfandbrief gilt als außerordentlich sicheres Wertpapier und ist eine wichtige Grundlage für langfristige Finanzierungen.

Darüber hinaus verfügt Deutschland über einen großen und gut funktionierenden Mietwohnungsmarkt. Im Gegensatz zu Großbritannien oder den USA gibt es in Deutschland keinen Subprime-Markt, weil hierzulande Haushalte mit finanziellen Problemen keine teuren Kredite in Anspruch nehmen müssen, um sich ihre Wohnwünsche erfüllen zu können. Sie finden auf dem Mietwohnungsmarkt attraktive Alternativen zum Eigenheim.

Markttransparenz als Herausforderung

Allerdings zeigt das Gutachten auch die Schwächen der Branche auf: „In der amtlichen Statistik sind Bestand und Struktur von Immobilien nur teilweise dokumentiert", kritisieren die Gutachter. Einzig für Wohnungen und Wohngebäude lägen flächendeckende und räumlich tief gegliederte Angaben vor, bei anderen Gebäuden würden nur Baugenehmigungen und -fertigstellungen erfasst, nicht aber der aktuelle Bestand. Für Industrie- und Gewerbeimmobilien sowie die meisten Spezial- und Infrastrukturimmobilien seien in der amtlichen Statistik wenige und schon gar keine flächendeckenden Angaben vorhanden. "Diese Lücken müssen geschlossen werden", forderten die Wissenschaftler. "Auch die Immobilienpreise würden bislang nur unzureichend erfasst." Die amtliche Preisstatistik diene vornehmlich der Verbraucherpreismessung und stelle noch keine umfassenden Preisindikatoren für den Immobilienmarkt zur Verfügung. Mit den neuen amtlichen Indizes für Grundstückspreise und Bestandsimmobilien seien jedoch erhebliche Fortschritte in der Immobilienpreismessung in Richtung allgemeiner Marktindikatoren gemacht worden. "Diese Entwicklung sollte fortgesetzt werden. Insbesondere in der bundeseinheitlichen Standardisierung der Daten aus den Gutachterausschüssen und ihrer umfassenden Berücksichtigung in der Statistik liegt erhebliches Potenzial", so unisono Auftraggeber und Auftragnehmer der Studie.

Das Gutachten ist unter dem Titel "Wirtschaftsfaktor Immobilien - Die Immobilienmärkte aus gesamtwirtschaftlicher Sicht " als Sonderausgabe der Zeitschrift für Immobilienökonomie erhältlich. Es kann direkt bei der Gesellschaft für Immobilienwirtschaftliche Forschung e.V. zum Preis von 49,- EUR bezogen werden.

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Kathrin Böhmer
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