Finanzmarktexperten nehmen Bürokratie statt Schuldenbremse als Investitionshürde wahr
ForschungSonderfrage im ZEW-Finanzmarkttest
Die grundgesetzlich verankerte Schuldenbremse wird zunehmend für zu geringe öffentliche Investitionen verantwortlich gemacht und in Frage gestellt. Finanzmarktexperten/-innen sehen allerdings nicht in der Schuldenbremse das maßgebliche Hindernis für höhere Investitionen, sondern in zu viel Bürokratie. Zu diesem Ergebnis kommt eine Sonderfrage im aktuellen ZEW-Finanzmarkttest, an dem sich 198 Finanzmarktexperten/-innen beteiligt haben. Die Umfrage hat das ZEW Mannheim im Dezember 2019 durchgeführt.
Aus der Perspektive der befragten Teilnehmer/-innen aus Banken, Versicherungen und großen Industrieunternehmen haben finanzielle Engpässe eine untergeordnete Bedeutung, um die öffentliche Investitionsschwäche in Deutschland zu erklären. Mit weitem Abstand auf dem ersten Platz der als wichtig wahrgenommenen Hindernisse rangieren dagegen bürokratische Hürden. Etwa die Hälfte der Befragten hält außerdem die Kapazitätsengpässe in der Bauwirtschaft und politische Widerstände durch Betroffene für maßgeblich. Erst dann folgen solche Erklärungen, die auf finanzielle Engpässe hindeuten. Allerdings steht hier weniger der Mangel an öffentlichen Finanzierungsmitteln im Fokus.
Fast niemand unter den Befragten ist der Auffassung, dass zu geringe Steuereinnahmen die Investitionsfähigkeit begrenzen. Auch die Schuldenbremse wird lediglich von einem Drittel der Befragten genannt. Als bedeutsameres Hindernis auf der Finanzierungsseite wird hingegen die Budgetkonkurrenz durch Sozialleistungen, Personalausgaben und andere nicht-investive Ausgaben wahrgenommen.
Nur eine Reform der Schuldenbremse wäre kaum erfolgversprechend
Unter den Umfrageteilnehmern/-innen besteht zudem eine große Übereinstimmung darüber, die grundgesetzliche Schuldenbremse beizubehalten. Befürworter und Gegner einer Reform halten sich fast exakt die Waage. Als Reformoption genießt eine stärkere Investitionsorientierung der Schuldenbremse einen mehrheitlichen Rückhalt.
Prof. Dr. Friedrich Heinemann, Leiter des ZEW-Forschungsbereichs „Unternehmensbesteuerung und Öffentliche Finanzwirtschaft“, fasst die Einsichten der Befragung folgendermaßen zusammen: „Die Experten glauben nicht, dass es dem Staat an Geld für Investitionen fehlt. Die aufgeregte Debatte um die angeblich wachstumsfeindliche Schuldenbremse geht aus ihrer Sicht am Thema vorbei. Die wirklichen Engpässe liegen demnach auf den Gebieten der Bürokratie, der politischen Akzeptanz von Investitionsvorhaben und der politischen Präferenz für konsumtive Staatsausgaben. Eine Reform allein der Schuldenbremse in Richtung einer Investitionsklausel wäre ohne umfangreiche weitere Reformen der Investitionsbedingungen in Deutschland daher kaum erfolgversprechend.“