Gemeinschaftsdiagnose Frühjahr 2013: Deutsche Konjunktur erholt sich – Wirtschaftspolitik stärker an der langen Frist ausrichten
ForschungPositive Signale für die deutsche Konjunktur im Frühjahr 2013: Die Lage an den Finanzmärkten hat sich entspannt und der weltwirtschaftliche Gegenwind lässt nach. Die Gemeinschaftsdiagnose vom Frühjahr 2013, an der das ZEW gemeinsam mit anderen führenden Wirtschaftsforschungsinstituten beteiligt ist, prognostiziert ein Wachstum des deutschen Bruttoinlandsprodukts im laufenden Jahr von 0,8 Prozent (68 Prozent-Prognoseintervall: 0,1 Prozent bis 1,5 Prozent) und von 1,9 Prozent im Jahr 2014.
Die Konjunktur in Deutschland ist im Frühjahr 2013 wieder aufwärts gerichtet. Die Lage an den Finanzmärkten hat sich entspannt, nachdem die Unsicherheit über die Zukunft der Europäischen Währungsunion gesunken ist. Auch der weltwirtschaftliche Gegenwind hat nachgelassen. Die Institute erwarten, dass in Deutschland das Bruttoinlandsprodukt in diesem Jahr um 0,8 Prozent (68 Prozent -Prognoseintervall: 0,1 Prozent bis 1,5 Prozent ) und im kommenden Jahr um 1,9 Prozent zunimmt. Die Zahl der Arbeitslosen dürfte weiter zurückgehen und im Jahresdurchschnitt bei 2,9 Mill. in diesem bzw. 2,7 Mill. Personen im nächsten Jahr liegen.
Die Inflationsrate wird im laufenden Jahr auf 1,7 Prozent zurückgehen, bevor sie bei zunehmender Kapazitätsauslastung im kommenden Jahr auf 2,0 Prozent anzieht. Der Staatshaushalt wird im Jahr 2013 annähernd ausgeglichen sein und im Jahr 2014 dank der günstigeren Konjunktur einen Überschuss von 0,5 Prozent in Relation zum Bruttoinlandsprodukt aufweisen. Die Wirtschaftspolitik sollte jetzt die lange Frist wieder stärker in den Blick nehmen. Zwar haben strukturelle Anpassungsprozesse in den Krisenländern inzwischen begonnen, institutionelle Probleme im Euroraum sind aber noch nicht gelöst. Der deutsche Staatshaushalt ist auch demografiebedingt langfristig erheblichen Belastungen ausgesetzt.
Im Frühjahr 2013 hat sich die Weltkonjunktur leicht belebt. Die Erwartungen von Unternehmen und Verbrauchern haben sich schon seit dem Herbst verbessert, und die Industrieproduktion wie auch der Welthandel zogen in den vergangenen Monaten wieder an. Hierzu hat nicht zuletzt beigetragen, dass das Risiko eines Auseinanderbrechens des Euroraums nach dem Eingreifen der EZB erheblich geringer eingeschätzt wird. Dieses Bild scheint sich auch durch die Banken- und Finanzkrise in Zypern nicht grundlegend geändert zu haben.
Von Seiten der Finanzmärkte haben sich die Rahmenbedingungen seit dem vergangenen Herbst recht deutlich verbessert. Die Anspannungen im Euroraum, zu denen es im ersten Halbjahr 2012 im Zuge der erneuten Zuspitzung der Staatsschuldenkrise gekommen war, ließen deutlich nach. Die Aktienkurse sind in den fortgeschrittenen Volkswirtschaften seit Mitte des vergangenen Jahres kräftig gestiegen und haben zuletzt in einigen Ländern langjährige Höchststände erreicht.
Und doch bleiben Belastungen. Der private Sektor ist in einer Reihe von fortgeschrittenen Volkswirtschaften nach wie vor bemüht, sein Verschuldungsniveau an die im Gefolge der globalen Finanzkrise gesunkenen langfristigen Einkommenserwartungen anzupassen. Die Anpassung ist wohl noch nicht abgeschlossen und dürfte die Konjunktur weiterhin bremsen, auch wenn in den USA inzwischen einiges dafür spricht, dass die Belastungen nachlassen.
Die Lage der öffentlichen Haushalte in den fortgeschrittenen Volkswirtschaften hat sich auch im vierten Jahr nach der Großen Rezession nicht entscheidend gebessert. Die Rückführung der Haushaltsdefizite kommt angesichts einer meist schwachen, zum Teil sogar stark rezessiven Wirtschaftsentwicklung nur mühsam voran. Auch zeichnet sich ab, dass die Sparpolitik in einigen Ländern wieder gelockert wird. Im Euroraum wird die Finanzpolitik wohl restriktiv bleiben, auch wenn konjunkturbedingte Zielverfehlungen bei den Budgetdefiziten in diesem Jahr von der Politik hingenommen werden.
Die Geldpolitik ist in den fortgeschrittenen Volkswirtschaften nach wie vor stark expansiv aus-gerichtet. Die Zentralbanken in den USA und in Japan haben angekündigt, die Zinsen so lange auf dem derzeitigen niedrigen Niveau zu belassen und auch die Maßnahmen zur quantitativen Lockerung fortzuführen, bis sich die Konjunktur sichtbar erholt hat.
Die Institute rechnen damit, dass die Weltwirtschaft in diesem und im nächsten Jahr wieder et-was an Fahrt gewinnt. Auch im Euroraum wird sich die Konjunktur langsam wieder beleben. Der Anstieg der Weltproduktion dürfte im Jahr 2013 etwa 2 ½ Prozent und im Jahr 2014 reichlich 3 Prozent betragen. Allerdings sind die Abwärtsrisiken beträchtlich. So ist eine zentrale Annahme, dass sich die Krise im Euroraum nicht erneut verschärft. Eine tatkräftige Fortsetzung und der Erfolg der Reformbemühungen in den Krisenländern sind aber immer noch nicht gesichert. Sollte es zu einer merklichen Verlangsamung oder gar einem Scheitern der strukturellen Anpassungsprozesse in den Krisenstaaten des Euroraums kommen, so ist mit einem spürbaren Rückgang des Vertrauens zu rechnen, der auch die Konjunktur schwer belasten würde.
Die Konjunktur in Deutschland ist im Frühjahr 2013 wieder aufwärts gerichtet. Die Stimmung in der deutschen Wirtschaft hat sich seit dem Herbst des vergangenen Jahres deutlich verbessert. Dies dürfte nicht zuletzt darauf zurückgehen, dass sich die Lage an den Finanzmärkten entspannt hat, nachdem die Unsicherheit über die Zukunft der Europäischen Währungsunion gesunken ist. Auch der weltwirtschaftliche Gegenwind hat nachgelassen, denn außerhalb des Euroraums deutet sich eine etwas beschleunigte Expansion an. Allerdings hat sich der Stimmungsumschwung bislang kaum in den Auftragseingängen oder in der Industrieproduktion niedergeschlagen. Insofern sprechen die harten Indikatoren nicht dafür, dass sich die Produktion bereits im ersten Quartal dieses Jahres kräftig erholt hat. Dabei spielten auch Witterungseinflüsse eine Rolle; diese haben die Aktivität im Februar und im März gebremst.
Die Institute rechnen damit, dass die Konjunktur im Verlauf dieses Jahres Fahrt aufnimmt. Die Irritationen im Zusammenhang mit der Wahl in Italien und der Bankenkrise in Zypern zeigen allerdings, dass weiterhin das Risiko einer Zuspitzung der Krise besteht, wenn auch nicht mehr im gleichen Ausmaß wie im vergangenen Jahr.
Die Bedingungen für einen kräftigen Anstieg der gesamtwirtschaftlichen Produktion sind gegeben. So sind die Zinsen niedrig und die Konditionen für die Kreditvergabe günstig. Ferner ist die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Unternehmen auf den Weltmärkten hoch, und sie verfügen über eine hohe Präsenz in wachstumsstarken Schwellenländern Asiens. Darüber hinaus ist der Arbeitsmarkt in Deutschland weiterhin robust. Hier hat die jüngste Konjunkturschwäche kaum Spuren hinterlassen. Damit bleiben die Einkommensaussichten stabil, was die privaten Konsumausgaben stützen dürfte. Im Verlauf dieses Jahres dürfte sich der Anstieg der Auslandsnachfrage allmählich beschleunigen. Damit hellen sich die Absatzperspektiven der Unternehmen auf, so dass sie ihre Investitionszurückhaltung nach und nach aufgeben werden. Von Sonderfaktoren wie etwa Witterungseinflüssen abgesehen wird das Tempo der konjunkturellen Erholung im Jahr 2013 anziehen. Im Jahresdurchschnitt wird das Bruttoinlandsprodukt allerdings wegen des statistischen Unterhangs lediglich um 0,8 Prozent zunehmen, wobei das 68 Prozent-Prognoseintervall von 0,1 Prozent bis 1,5 Prozent reicht. Die Importe dürften etwas rascher zulegen als die Exporte; der Anstieg des Bruttoinlandsprodukts wird rechnerisch allein von der inländischen Verwendung getragen. Bei dem insgesamt recht hohen Expansionstempo wird sich die Lage am Arbeitsmarkt voraus-sichtlich weiter bessern. Die Beschäftigung wird steigen, und die Zahl der Arbeitslosen wird im Jahresdurchschnitt knapp 2,9 Mill. Personen betragen. Der Preisauftrieb hat sich zuletzt beruhigt, vor allem verbilligten sich Mineralölprodukte. Auch deshalb dürfte die Inflationsrate mit 1,7 Prozent etwas geringer ausfallen als im Jahr 2012. Der Staatshaushalt wird in diesem Jahr wohl annähernd ausgeglichen sein, nach einem geringen Überschuss im zurückliegenden Jahr.
Im Jahr 2014 dürfte die Konjunktur weiter leicht an Schwung gewinnen. Dabei wird die Kapazitätsauslastung steigen. Impulse kommen von den Ausfuhren, die mit der erwarteten Besserung der Konjunktur bei den Handelspartnern etwas beschleunigt zulegen. Letztlich wird der Auf-schwung jedoch von der Binnenkonjunktur getragen. So gewinnt der Investitionsmotor an Schwung. Von den niedrigen Zinsen dürfte insbesondere der Wohnungsbau profitieren. Die privaten Konsumausgaben dürften etwas stärker ausgeweitet werden als im laufenden Jahr, gestützt von deutlich steigenden verfügbaren Einkommen. Alles in allem wird das Bruttoinlandsprodukt im Jahr 2014 voraussichtlich um 1,9 Prozent expandieren. Die Zahl der Arbeitslosen dürfte deutlich zurückgehen und im Jahresdurchschnitt bei 2,7 Mill. Personen liegen. Mit der Zunahme der Kapazitätsauslastung wird die Inflationsrate auf 2,0 Prozent anziehen. Die Lage der öffentlichen Haushalte wird sich weiter verbessern, der Staat dürfte vor allem dank der günstigeren Konjunktur einen Haushaltsüberschuss von 0,5 Prozent in Relation zum Bruttoinlandsprodukt aufweisen; diese Prognose ist insbesondere mit der Unsicherheit behaftet, dass im September 2013 die Wahlen zum Bundestag anstehen.
Die Rahmenbedingungen für die Konjunktur sind in Deutschland seit einiger Zeit so anregend, dass der Anstieg des Bruttoinlandsprodukts sogar etwas höher ausfallen könnte als hier beschrieben. In diese Richtung deutet auch die Verbesserung der Stimmungsindikatoren seit dem vergangenen Herbst hin. Zur Vorsicht mahnt aber, dass sich die Stimmung unter den Unternehmen im März wieder leicht verschlechtert hat, und zwar nicht nur in Deutschland, sondern auch bei wichtigen Handelspartnern. Auch die Daten zu den Auftragseingängen und der Produktion in der Industrie deuten noch nicht auf einen Durchbruch hin. Abgesehen von der Unsicherheit bezüglich der aktuellen Grundtendenz der Konjunktur überwiegen nach Ansicht der Institute die Abwärtsrisiken. Zwar haben strukturelle Anpassungsprozesse in den Krisenländern inzwischen begonnen, einige Regierungen sehen sich aber erheblichen Schwierigkeiten bei der Umsetzung der Reformen gegenüber. Ein Nachlassen bei der Politik der Konsolidierung und der Strukturreformen kann zu neuen Turbulenzen führen.
Die Wirtschaftspolitik hat sich in der weltweiten Finanzkrise und in der europäischen Schul-den- und Vertrauenskrise mit allerhand geld- und finanzpolitischen Maßnahmen Zeit gekauft. Auf diese Weise ist es gelungen, die wirtschaftlichen Aussichten im Euroraum vorerst zu stabilisieren. In Deutschland stellt sich die Lage der öffentlichen Finanzen und des Arbeitsmarktes zurzeit sogar recht günstig dar. Dies sollte jedoch nicht den Blick darauf verstellen, dass zentrale, für die Krise ursächliche Probleme noch nicht gelöst worden sind und dass wichtige Weichenstellungen ausstehen. Die langfristige ökonomische Entwicklung sollte stärker in den Mittelpunkt der Wirtschaftspolitik rücken.
Die europäische Bankenunion ist dabei ein wichtiges Element. Bei deren Gestaltung sollte die Frage im Vordergrund stehen, wie zukünftig ein stabileres Bankensystem geschaffen wer-den kann, und nicht, wie die aus der aktuellen Krise entstehenden Lasten verteilt werden. Entscheidend ist, dass der für eine marktwirtschaftliche Ordnung zentralen Einheit von Entscheidung und Haftung Geltung verschafft wird. Dazu gehört insbesondere, dass Eigentümer und Gläubiger im Krisenfall die Verluste tragen, bevor Steuerzahler Schlimmeres verhindern sollen. Die Beteiligung der Gläubiger im Falle Zyperns war Ergebnis eines teilweise chaotischen Prozesses. Dies sollte zum Anlass genommen werden, bald berechenbare und glaubwürdige Regeln für die Reaktion auf finanzielle Schieflagen bei Banken und auch Staaten im Euroraum in Kraft treten zu lassen. Solche Regeln könnten auch helfen, den Teufelskreis aus Bankenproblemen und Tragfähigkeitsproblemen bei der öffentlichen Verschuldung zu durchbrechen.
Die Bundesregierung verweist auf Erfolge bei der Haushaltskonsolidierung. Bei genauer Betrachtung fällt die Bestandsaufnahme jedoch durchwachsen aus. Denn zum einen beruht die gegenwärtige „Übererfüllung“ der Schuldenbremse beim Bund auch auf Faktoren, die nicht nachhaltig wirken; wichtige Faktoren waren die niedrigen Zinsen und die kalte Progression. Zum anderen ist schon heute abzusehen, dass die Alterung der Bevölkerung die öffentlichen Finanzen vor große Herausforderungen stellen wird.
Bei der Haushaltskonsolidierung, aber auch in anderen Politikbereichen, geraten Effizienz-überlegungen momentan ins Hintertreffen. Bei der Haushaltskonsolidierung wurde darauf verzichtet, „qualitative“ Prioritäten zu setzen. So werden die aus der kalten Progression erzielten Mehreinnahmen zum Teil verwendet, um konsumtive Staatsausgaben und Subventionen aufzustocken. Ferner wird gegenwärtig die Einführung eines flächendeckenden Mindestlohns vorgeschlagen. In der politischen Diskussion über diesen Vorschlag sollten die Zielkonflikte zwischen Allokationseffizienz und Verteilungszielen klar angesprochen werden. Auswirkungen auf das Produktionspotenzial hat auch die Energiewende. Sie führt zu einer Veränderung relativer Preise und einer Abschreibung von Teilen des volkswirtschaftlichen Kapitalstocks. Gerade letzteres findet in der öffentlichen Debatte zu wenig Beachtung.
In Deutschland sollten auch Vorkehrungen getroffen werden, damit es nicht zu ähnlichen Fehlentwicklungen kommt wie in einigen Krisenländern. Dazu ist es auch erforderlich, in denkommenden Jahren, in denen die einheitliche europäische Geldpolitik in Deutschland deutlich expansiv wirken dürfte, zum einen eine vorsichtige öffentliche Haushaltsführung walten zu lassen und zum anderen die private Kreditentwicklung und Verschuldung aufmerksam zu beobachten und möglichen Fehlentwicklungen unter anderem mit makroprudenziellen Instrumenten entgegenzuwirken.
Der Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose gehören an
Institut für Wirtschaftsforschung Halle
in Kooperation mit:
Kiel Economics
ifo-Institut – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung an der Universität München e.V.
in Kooperation mit:
KOF Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich
Institut für Weltwirtschaft an der Universität Kiel
bei der Mittelfristprojektion in Kooperation mit:
Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) Mannheim
<i<a href="http://www.rwi-essen.de">Rheinisch-Westfälisches Institut für Wirtschaftsforschung </i
in Kooperation mit:<br /> Institut für Höhere Studien Wien
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Dr. Marcus Kappler, Telefon 0621/1235-157, E-Mail kappler@zew.de