Höhere Lernintensität verringert Chancengerechtigkeit

Forschung

G8-Reform hat dafür gesorgt, dass die Ungleichheit der Bildungschancen verstärkt wurde.

Die Politik hat sich seit der Jahrtausendwende darauf konzentriert, das Bildungssystem in Deutschland effizienter zu gestalten und die gymnasiale Schulzeit von neun auf acht Jahre zu verkürzen (G8-Reform). Da nicht gleichzeitig auch die Inhalte verringert wurden, ist die Lernintensität seitdem gestiegen. Diese gestiegene Lernintensität führt zu weniger Chancengerechtigkeit von Schülerinnen und Schülern beim Zugang zu Bildung: Langfristig sank im betrachteten Zeitraum die Chancengerechtigkeit um mehr als 25 Prozent. Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle Studie des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW), Mannheim.

Die ZEW-Studie untersucht, ob, und wenn ja, wie eine höhere Lernintensität die Chancengerechtigkeit beim Zugang zu Bildung beeinflusst. Hierfür wurden Daten der internationalen Schulleistungsstudie (PISA-I) der Jahre 2003, 2006, 2009 und 2012 zu den Kompetenzen im Lesen, in der Mathematik und in den Naturwissenschaften von Gymnasialschülerinnen und -schülern der neunten Klassen in den verschiedenen  deutschen Bundesländern verwendet.

Zunächst misst die ZEW-Studie die Chancengerechtigkeit beim Zugang zu Bildung als den Anteil der Varianz der standardisierten PISA-Testergebnisse, die sich ausschließlich auf äußere Umstände zurückführen. Äußere Umstände, wie beispielsweise das Geschlecht oder das Einkommen und den Bildungsstand der Eltern,  die also der oder die Einzelne nicht beeinflussen kann, sind für 20 bis 30 Prozent der Varianz der PISA-Testergebnisse in Deutschland verantwortlich.

Weiterhin fragt die ZEW-Studie, ob ein Zusammenhang zwischen der durch die G8-Reform gestiegenen Lernintensität und der Chancengerechtigkeit vorliegt. In der kurzen Frist, also bei Jahrgängen unmittelbar nach der G8-Einführung, hatte die höhere Lernintensität keinen unmittelbaren Einfluss auf die Chancengerechtigkeit, in der mittleren Frist, also über mehrere Jahre hinweg, hingegen sank die Chancengerechtigkeit um mehr als 25 Prozent.

"Förderung sollte weinger von den Gegebenheiten im Elternhaus abhängig sein"

„Schülerinnen und Schüler vor allem aus Akademiker-Haushalten werden seitens der Eltern umfangreichere Ressourcen zur Bewältigung des gestiegenen Lernpensums zur Verfügung gestellt. Das umfasst sowohl die Bereitschaft, für Nachhilfe zu zahlen, als auch einen zeitlichen Einsatz der Eltern, ihren Kindern bei den Schulaufgaben zu helfen“, erklärt Sebastian Camarero Garcia, Wissenschaftler in der ZEW-Forschungsgruppe „Internationale Verteilungsanalysen“ und Studienautor. „Um mehr Chancengerechtigkeit zu erreichen, könnte die Politik beispielsweise noch stärker als bisher in Ganztagsschulen investieren. Im Allgemeinen sollte dafür gesorgt werden, dass die Förderung der Schülerinnen und Schüler weniger von den Gegebenheiten im Elternhaus abhängig ist.“

Zudem gibt es mit Blick auf die gesunkene Chancengerechtigkeit aufgrund verkürzter Gymnasialschulzeiten fachabhängige Unterschiede. Mathematische und naturwissenschaftlichen Fähigkeiten der Schüler/innen sind stärker von der gestiegenen Lernintensität beeinflusst als Lesefähigkeiten. „Dies kann daran liegen, dass mathematische und naturwissenschaftliche Inhalte eher von Fachleuten in der Schule vermittelt werden müssen, während sich Lesefähigkeiten zu einem Großteil ganz allgemein aus dem Alltag ergeben“, so Sebastian Camarero Garcia.

Für Rückfragen zum Inhalt

Sebastian Camarero Garcia, Telefon 0621/1235-383, E-Mail Sebastian.CamareroGarcia@zew.de