Langfristige Haltelinien führen zu höheren Belastungen bei Steuer und Rentenalter

Kommentar

Die Parteien der Großen Koalition haben sich auf ein Rentenpaket geeinigt, das eine doppelte Haltelinie bis zum Jahr 2025, höhere Leistungen für künftige Erwerbsminderungsrentner/innen und für Mütter mit Kindern, die vor 1992 geboren wurden, vorsieht. Dr. Holger Stichnoth, kommissarischer Leiter der Forschungsgruppe „Internationale Verteilungsanalysen“ am Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW), Mannheim, nimmt dazu Stellung.

„Mit der erzielten Einigung setzt die Bundesregierung die im Koalitionsvertrag beschlossenen Pläne zur Sozialversicherung zügig um. Das Paket enthält wichtige Verbesserungen etwa im Bereich der Erwerbsminderungsrente. Positiv ist, dass die Koalition die doppelte Haltelinie beim Rentenniveau und den Beitragssätzen nicht über das Jahr 2025 hinaus verlängert hat. Die Haltelinien schaffen nur vordergründig Sicherheit und Verlässlichkeit. In Wirklichkeit nehmen sie der Politik zwei zentrale Stellschrauben, um die Folgen des demografischen Wandels für das umlagefinanzierte Rentensystem zu bewältigen. Die Stabilität beim Rentenniveau und den Beiträgen wird mit Unsicherheit und höheren Belastungen bei der Steuer und dem Rentenalter erkauft.

Die Ausweitung der Midijob-Gleitzone von 850 Euro auf 1.300 Euro ist ebenfalls zu begrüßen, weil so der in diesem Einkommensbereich steile Anstieg der Beitragssätze abgemildert wird. Nach unseren Berechnungen beträgt der Umfang der Entlastung bei den Sozialversicherungsbeiträgen für Arbeitnehmer/innen und Arbeitgeber etwa 620 Millionen Euro pro Jahr, einschließlich des neuen Pflegeversicherungsbeitrags von 2,85 Prozent und der jetzt beschlossenen Senkung des Beitrags zur Arbeitslosenversicherung auf 2,5 Prozent.

Die Ausweitung der Midijob-Zone setzt gemischte Arbeitsanreize: Wer bisher nicht oder in einem Minijob arbeitet, erhält einen Anreiz, eine Beschäftigung aufzunehmen oder auszuweiten. Für Personen, die derzeit zwischen 850 Euro und 1.300 Euro verdienen, erhöht sich jedoch die Grenzbelastung, von einem zusätzlichen Euro an Bruttoeinkommen bleibt also weniger im Portemonnaie. Auch Arbeitnehmer/innen, die aktuell knapp über 1.300 Euro verdienen, könnten einen Anreiz haben, in die nun attraktiv gewordene Midijob-Zone zu wechseln. Nach unseren Berechnungen gleichen sich diese Effekte in etwa aus. Etwa 13.000 Personen dürften durch die Reform eine Beschäftigung aufnehmen, dem stehen jedoch Einschränkungen des Arbeitsumfangs bei den bereits Erwerbstätigen gegenüber. Der Nettoeffekt auf das Arbeitsvolumen liegt damit fast bei null.“