Reputation des Euro beschädigt – Konflikte um Fiskalpolitik erwartet

Kommentar

ZEW-Ökonom Friedrich Heinemann zur französischen Parlamentswahl

Portraitbild von Prof. Dr. Friedrich Heinemann sitzend auf einem hellblauen Sofa

Im zweiten Wahlgang der Parlamentswahlen in Frankreich wurde gestern das Linksbündnis Neue Volksfront (NFP) stärkste Kraft, das liberale Regierungsbündnis um Emmanuel Macron kam auf Platz zwei, der rechtsextreme Rassemblement National (RN) kam auf Platz drei.

Friedrich Heinemann, Leiter des ZEW-Forschungsbereichs „Unternehmensbesteuerung und Öffentliche Finanzwirtschaft“ und Professor an der Universität Heidelberg, kommentiert:

„Der französische Wahlausgang hat trotz der Schadensbegrenzung im zweiten Wahlgang der Reputation des Euro Schaden zugefügt. Europa steuert auf sehr schwere Konflikte und Entscheidungen um die Fiskalpolitik mit ungewissem Ausgang zu.

Auch wenn Erleichterung besteht, dass in Frankreich eine Regierungsmehrheit des fremdenfeindlichen und nationalistischen RN verhindert werden konnte, sind die Parlamentssitze dennoch insgesamt an die Ränder des politischen Spektrums gerückt. Vorläufig steht diesem polarisierten Parlament noch ein reformorientierter und europafreundlicher Präsident gegenüber, dessen Handlungsmöglichkeiten nun jedoch stark eingeengt sind.

Dieses Wahlergebnis im zweitgrößten Mitgliedstaat wird die Fähigkeit der EU zur Problemlösung weiter begrenzen. Die NFP, die jetzt den Anspruch auf die Regierung erhebt, steht für die Abkehr vom Reformkurs Macrons. Sie will den hohen französischen Mindestlohn noch weiter erhöhen, in die Preisbildung für Grundnahrungsmittel und Energie eingreifen, die Renten- und Arbeitsmarktreformen Macrons zurücknehmen sowie Unternehmen und Vermögende höher besteuern. Die NFP steht dem zentralen Integrationsprojekt eines marktwirtschaftlich organisierten Binnenmarkts kritisch gegenüber und verfolgt nach außen einen dezidiert protektionistischen Kurs mit einer klaren Absage an Prinzipien des Freihandels. Sie lehnt nicht nur neue Freihandelsabkommen ab, sondern will sogar existierende aufkündigen.

Das Ergebnis wird sehr konkrete Folgen für den nächsten EU-Finanzrahmen haben. Eine ambitionierte Ausdehnung des EU-Haushalts hat angesichts der deutsch-französischen Uneinigkeit über die richtige Ausrichtung des Integrationsprojekts kaum noch Chancen.

Auch neue EU-Schulden dürften nun vom Tisch sein. Die finanzielle Solidarität in der Pandemie lag darin begründet, dass die Pandemie mit ihren finanziellen Folgen ein unverschuldetes Ereignis von außen war. Das französische Wahlergebnis steht nun aber für die drohende Abkehr Frankreichs von einer Wirtschafts- und Europapolitik der fiskalischen Verantwortung. Die nun zu erwartende weitere Verschlechterung der französischen Staatsfinanzen ist eindeutig selbstverursacht. Es ist kaum denkbar, dass eine deutsche Bundesregierung die Finanzpolitik eines in den Fiskal-Populismus abdriftenden Frankreichs über noch höhere deutsche EU-Garantien absichern würde, ohne vom Wähler abgestraft zu werden.

Der Europäischen Kommission und der EZB stellen sich jetzt brisante Fragen im Hinblick auf die ohnehin kritisch hohen französischen Defizite: Eigentlich müssten diese Institutionen nun den Druck auf Paris zur Senkung der Defizite erhöhen. Allerdings gilt Frankreich als eindeutiger Fall von ‚too big to fail‘. Eine französische Schuldenkrise würde eine globale Finanzkrise auslösen und könnte den Euro zerstören. Insofern kann auch eine linkspopulistische Finanzpolitik in Paris letztlich auf Duldung durch die Kommission und finanzielle Absicherung durch die EZB hoffen. Kommission und EZB müssen sich jetzt den Vorwurf gefallen lassen, durch die laxe und politisierte Auslegung des Stabilitätspakts und durch die Zinsgarantien auch für Hoch-Schulden-Staaten zur Wahl von Populisten an beiden Rändern des Spektrums ermutigt zu haben. Auch wäre es Wasser auf die Mühlen der Populisten aller Lager, wenn die EU-Institutionen, die bisher einer europafreundlichen Regierung Verstöße gegen die Stabilitätsregeln erlaubt haben, einer neuen demokratisch legitimierten Regierung dasselbe nun verweigert. “