Start-ups stärken deutsche Chemie-Branche, haben aber bei Wagniskapital das Nachsehen

Forschung

Die Kompetenz vieler Chemie-Start-ups besteht im Angebot von Spezialprodukten und spezifischen Dienstleistungen für die etablierten Chemieunternehmen.

Chemie-Start-ups in Deutschland versorgen die hiesige Branche mit innovativen Produkten und Dienstleistungen und stärken so den Wirtschaftszweig insgesamt. Was die Ausstattung dieser Start-ups mit Wagniskapital und die allgemeine Gründungsaktivität in der Chemieindustrie betrifft, liegt Deutschland im Vergleich zu anderen europäischen Ländern allerdings deutlich zurück. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie, die das ZEW – Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung in Mannheim und das Center für Wirtschaftspolitische Studien (CWS) der Leibniz Universität Hannover im Auftrag des Verbands der Chemischen Industrie (VCI) durchgeführt haben.

„Die Kompetenz vieler Chemie-Start-ups besteht im Angebot von Spezialprodukten, die in der industriellen Produktion zum Einsatz kommen, und von spezifischen Dienstleistungen für die etablierten Chemieunternehmen“, sagt Dr. Christian Rammer, stellvertretender Leiter des ZEW-Forschungsbereichs „Innovationsökonomik und Unternehmensdynamik“ sowie Mitautor der Studie. Dr. Gerd Romanowski, Geschäftsführer Wissenschaft, Technik und Umwelt im VCI, ergänzt: „Die Stärke von Chemie-Start-ups für unsere Branche liegt vor allem darin, sich an der Schnittstelle zwischen traditioneller Chemie und neuen Anwendungsgebieten zu positionieren, etwa bei digitalen Lösungen oder bei Plattformtechnologien.“

Vergleichsweise schwach aufgestellt sind die deutschen Chemie-Start-ups im europaweiten Vergleich, wenn es um Wagniskapitalinvestitionen geht. Während im Jahr 2018 in Europa insgesamt 54,5 Millionen Euro an Wagniskapital in Chemieunternehmen investiert wurden, entfielen davon auf Chemieunternehmen in Deutschland nur 2,4 Millionen Euro – der geringste Wert seit 2007. Das bislang höchste Volumen bei Wagniskapitalinvestitionen in deutsche Chemieunternehmen wurde im Jahr 2011 mit 34,5 Millionen Euro erreicht.

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Mit Blick auf die europäischen Nationen fällt die schwache Entwicklung der Wagniskapitalinvestitionen in Deutschland auf.

Im Zeitraum zwischen 2015 und 2018 gingen durchschnittlich rund sieben Prozent aller Wagniskapitalinvestitionen in der Chemie-Branche in Europa an Unternehmen in Deutschland. Die Bundesrepublik rangiert damit auf Platz 7 hinter Großbritannien (19 Prozent), den Niederlanden (16 Prozent), Belgien (13 Prozent), Frankreich (elf Prozent), Spanien (zehn Prozent) und Norwegen (acht Prozent) – ein erheblicher Rückgang gerade auch im historischen Vergleich: Im Zeitraum von 2007 bis 2010 lag Deutschland mit einem Anteil von 16 Prozent noch an zweiter Stelle in Europa. Deutlich mehr Wagniskapital wurde zwischen 2015 und 2018 in Deutschland in die Digitalwirtschaft (46 Prozent) sowie in die Biotech- und Gesundheitsbranche (19 Prozent) investiert.
 
„Im Vergleich mit den anderen beiden großen europäischen Chemie-Nationen Großbritannien und Frankreich fällt die schwache Entwicklung der Wagniskapitalinvestitionen in Deutschland besonders stark ins Auge. Auch in den meisten skandinavischen Ländern sowie den Niederlanden und Belgien kommt der Chemie mehr Bedeutung im jeweiligen nationalen Wagniskapitalmarkt zu als in Deutschland“, fasst Christian Rammer zusammen. „Umso wichtiger ist es, dass der Gesetzgeber die Anreize zur Mobilisierung privaten Wagniskapitals verbessert, sonst gefährden wir den Chemie-Forschungsstandort Deutschland“, betont Gerd Romanowski.

Gründungen in der deutschen Chemie- und Pharmaindustrie rückläufig

Die Wagniskapitalgeber deutscher Chemie-Startups konzentrieren sich vornehmlich auf die jungen Unternehmen, die Patente anmelden. Von den deutschen Chemie-Start-ups wurden bisher fast 550 Patente angemeldet. Allerdings weisen nur 25 Prozent aller Chemie-Start-ups zumindest eine Patentanmeldung auf. Dieser relativ niedrige Anteil wird von den Studienautoren/-innen darauf zurückgeführt, dass die Mehrheit der Chemie-Start-ups mit Dienstleistungsangeboten am Markt aktiv ist. „Ein Patentschutz für Innovationen ist in diesem Bereich meist nicht möglich“, erklärt Christian Rammer. Auch melden viele der auf Forschung und Entwicklung (FuE) spezialisierten Start-ups keine Patente an, da sie FuE für Dritte durchführen und die FuE-Ergebnisse daher nicht selbst über Patente schützen können.
 
Schließlich zeigt die Studie, dass sich die Gründungszahlen in der deutschen Chemie- und Pharmaindustrie ungünstiger entwickelt haben als in anderen großen Volkswirtschaften Europas. Während in Deutschland die Gründungsrate von 2008 bis 2016 zurückging, stieg sie in der Chemie- und Pharmaindustrie der meisten europäischen Vergleichsländer an.
 
Unter Chemie-Start-ups fassen die Wissenschaftler/innen in ihrer Untersuchung junge Unternehmen zusammen, die auf Basis von chemiespezifischem Know-how und entsprechender Technologie innovative Produkte und Dienstleistungen zielgenau für die Chemieindustrie anbieten. Die für die Studie ausgewerteten Unternehmensdaten entstammen dem Mannheimer Unternehmenspanel des ZEW sowie einer Liste von Chemie-Start-ups, die das „Forum Startup Chemie“ erstellt hat. Insgesamt wurden 281 Chemie-Start-ups identifiziert, die Anfang 2019 wirtschaftsaktiv waren. Zentrales Merkmal dieser Start-ups ist die Innovationsorientierung.

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