Stasi-Bespitzelung hat soziale und wirtschaftliche Nachteile für Betroffene

Forschung

ZEW-Studie zu Folgen staatlicher Überwachung in der DDR

Eine hohe Überwachungsaktivität durch die Stasi wirkt sich auch Jahre nach dem Mauerfall negativ auf die bespitzelten Personen aus.

Die sozialen und ökonomischen Folgen der Überwachung durch inoffizielle Mitarbeiter/-Innen des Ministeriums für Staatssicherheit (Stasi) in der ehemaligen DDR sind auch Jahrzehnte nach der deutschen Wiedervereinigung noch sichtbar. Bürger/innen, die im Jahr vor dem Mauerfall in DDR-Landkreisen gewohnt haben, in denen der Anteil der postierten Stasi-Mitarbeiter/innen an der Bevölkerung hoch war, befinden sich heute in einer schlechteren wirtschaftlichen Lage als Bürger/innen, deren Umfeld weniger stark bespitzelt worden ist. Grund dafür ist ein genereller Vertrauensverlust in staatliche Institutionen und in das persönliche soziale Umfeld, wie eine Studie des ZEW Mannheim zeigt.

Die Ergebnisse belegen, dass sich eine hohe Überwachungsaktivität durch die Stasi negativ auf zwischenmenschliches Vertrauen, kooperatives Verhalten und politisches Engagement bei den Betroffenen auswirkt und damit hohe Kosten mit Blick auf das Sozialkapital der bespitzelten Personen verursacht. Der Effekt der Stasi-Überwachung auf die individuelle Wirtschaftsleistung ist ebenfalls negativ.

„Menschen, die im Jahr vor dem Mauerfall in DDR-Landkreisen mit einer hohen Dichte an Stasi-Informanten gewohnt haben, sind länger arbeitslos und verfügen über ein geringeres Monatseinkommen als Menschen aus Landkreisen, in denen weniger Stasi-Informanten pro Einwohner postiert waren. Zudem machen sich Betroffene aus ehemals stark überwachten Landkreisen im Durchschnitt seltener beruflich selbstständig“, fasst Prof. Dr. Sebastian Siegloch, Leiter des ZEW-Forschungsbereichs „Soziale Sicherung und Verteilung“ sowie Mitautor der Studie, zusammen.

Allgemeine Dokumente

Studie „The Long-Term Costs of Government Surveillance: Insights from Stasi Spying in East Germany“ (in englischer Sprache)

Stasi-Aktivitäten tragen zum wirtschaftlichen Ost-West-Gefälle bei

Dieser Befund bestätigt die allgemeine Auffassung, dass Vertrauen einen essenziellen Faktor für unternehmerisches Handeln darstellt. Siegloch und seine Ko-Autoren zeigen, dass diese Beziehung maßgeblich mit dem Bildungsniveau der jeweiligen Personen zusammenhängt. Wer wenig Vertrauen in staatliche Institutionen und sein soziales Umfeld hat, investiert weniger in die eigene Bildung, die wiederum eine wichtige Voraussetzung für persönlichen wirtschaftlichen Erfolg ist. Daneben ist bekannt, dass die Stasi selbst das Bildungsniveau innerhalb der DDR direkt beeinflusst hat. So wurde zum Beispiel Systemkritikern/-innen der Zugang zu Hochschulen verwehrt.

Insgesamt zeigen die Wissenschaftler in der Studie, dass die Stasi-Aktivitäten einen signifikanten Anteil am wirtschaftlichen Ost-West-Gefälle haben. „Wichtig dabei ist aber, zu betonen, dass die Stasi nicht alleine für die Differenzen zwischen Ost und West verantwortlich gemacht werden darf. Mit Sicherheit haben auch andere Faktoren eine Rolle gespielt wie zum Beispiel die Treuhand als Symbol der Abwicklung Ostdeutschlands. Hier fehlen uns derzeit jedoch noch harte wissenschaftliche Erkenntnisse“, sagt Siegloch.

Als Datengrundlage für die Studie diente den Wissenschaftlern das Sozio-ökonomische Panel (SOEP), eine repräsentative Befragung privater Haushalte und Einzelpersonen, die in der Bundesrepublik Deutschland jährlich Daten über Einkommen, Erwerbstätigkeit, Bildung oder Gesundheit erhebt. Seit 1990 sind auch Bürger/innen der ehemaligen DDR im SOEP mit abgebildet. Genau diese Personen bis zum Renteneintrittsalter von 65 Jahren wurden in der Studie mit berücksichtigt, selbst wenn sie nach der Wende ihren Wohnort gewechselt haben.

Auswirkungen der Stasi-Überwachung sind immer noch spürbar

Die Bespitzelungsintensität haben die Wissenschaftler als Anteil der Stasi-Informanten an der Bevölkerung im Jahr vor dem Mauerfall auf Landkreisebene definiert. Die Zahlen dazu basieren auf Akten der Behörde des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen (BStU). Der jeweilige Wert zur Bespitzelungsintensität pro Landkreis wurde für die Untersuchung in Bezug zum individuellen Vertrauen in Mitmenschen und Institutionen und zur ökonomischen Situation jener Befragten gesetzt, die zum selben Zeitpunkt in demselben Landkreis wohnten. Für die einzelnen DDR-Landkreise haben die Studienautoren die jeweilige Größe, demographische Zusammensetzung, historische Gegebenheiten und Struktur der Wirtschaftssektoren berücksichtigt. So wurde sichergestellt, dass die gemessenen Unterschiede bei individuellem Vertrauen und ökonomischer Situation der Befragten tatsächlich und ausschließlich auf die Bespitzelungsaktivität der Stasi zurückgehen.

Befragte, die im Jahr vor dem Mauerfall in DDR-Landkreisen mit besonders intensiver Überwachung durch die Stasi gewohnt haben, verbrachten im Schnitt fünf Tage pro Monat mehr in Arbeitslosigkeit und verfügten über ein 84 Euro niedrigeres Monatseinkommen als Personen aus Landkreisen, in denen die Stasi weniger aktiv war. Werden erwerbsunabhängige Einkünfte hinzugerechnet, beträgt der Einkommensunterschied 108 Euro. Zudem ist die Wahrscheinlichkeit, sich beruflich selbstständig zu machen, 1,6 Prozentpunkte geringer.

„Die Folgen der Stasi-Überwachung sind auch zwei Jahrzehnte nach dem Ende der DDR noch immer spürbar. Allerdings nehmen die Folgen der Stasi-Bespitzelung von Generation zu Generation ab“, sagt Sebastian Siegloch.

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